Schütze

Vollmond in Schütze

Die griechische Heldenfigur Herakles (röm. Herkules) sollte 12 Aufgaben meistern, die ihm zur Entsühnung der Ermordung seiner Familie auferlegt wurden. Für Astrologen ist es reizvoll, diese Aufgaben den zwölf Tierkreiszeichen zuzuordnen. Die sechste Aufgabe war die Vertreibung der Stymphaliden.

[Eurystheus] gab ihm [Herakles] auf, die Stymphaliden zu verjagen. Dies waren ungeheure Raubvögel, so groß wie Kraniche, mit eisernen Flügeln, Schnäbeln und Klauen versehen. Sie hausten um den See Stymphalos in Arkadien und besaßen die Macht, ihre Federn wie Pfeile abzudrücken und mit ihren Schnäbeln selbst eherne Panzer zu durchbrechen; dadurch richteten sie in der Umgegend unter Menschen und Vieh große Verwüstungen an…

Herakles, des Wanderns gewohnt, langte nach kurzer Reise bei dem See an, der von einem großen Gehölze dicht umschattet ruhte. In diesen Wald hatte sich eben eine unermeßliche Schar jener Vögel geflüchtet, aus Furcht, von den Wölfen geraubt zu werden. Herakles stand ratlos da, als er die ungeheure Menge erblickte und nicht wußte, wie er über so viele Feinde Meister werden sollte.

Auf einmal fühlte er einen leichten Schlag auf der Schulter; hinter sich blickend ward er Athenes Riesenerscheinung gewahr, die ihm zwei mächtige eherne Klappern in die Hände gab, welche Hephästos ihr verfertigt hatte; sie bedeutete ihm, diese gegen die Stymphaliden anzuwenden, und verschwand wieder.

Herakles bestieg nun eine Anhöhe in der Nähe des Sees und schreckte die Vögel, indem er die Klappern zusammenschlug. Diese hielten das gellende Getöse nicht aus, sondern flogen furchtsam aus dem Walde hervor. Darauf griff Herakles zum Bogen, legte Pfeil um Pfeil an und schoß ihrer viele im Fluge weg. Die andern verließen die Gegend und kamen nicht wieder.
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Vögel haben einen engen Bezug zum Luftelement und der Welt des Geistes, des Mentalen, des Intellekts und damit auch des Denkens. Sie können die Welt von einer erhöhten Perspektive aus betrachten und Distanz zwischen sich und den Objekten auf der Erde herstellen oder ihnen ganz nahekommen. Die Stymphaliden waren jedoch Raubvögel, die an einem Sumpfsee hausten, der als stehendes Gewässer (fixes Wasser) an das vorhergehende Zeichen Skorpion erinnert. Die Raubvögel besaßen eiserne Flügel, Schnäbel und Klauen, die sie als Waffe gegen Mensch und Tier einsetzten. Vor allem konnten sie ihre Federn wie Pfeile abschießen und sogar die Köpfe der Menschen im Vorbeiflug spalten.

Vögel sind ein Sinnbild für Gedanken und Ideen. Bei den Stymphaliden handelt es sich offensichtlich um destruktive Gedanken, die verletzen und sogar töten können. Die Esoterische Philosophie ordnet diese sechste Aufgabe dem Zeichen Schütze zu. Dort geht es tatsächlich um das Denken, bildet es doch gemeinsam mit den gegenüberliegenden Zwillingen die Denkachse. Destruktive Gedanken greifen in diesem Mythos den Menschen an, den Hervorbringer der Gedanken und Ideen. Sie wenden sich gegen ihn selbst. Sie sind so zahlreich, dass nicht jeder einzelne Gedanke (Vogel) vernichtet werden kann. Sie hausen an einem Sumpfsee. Wasser symbolisiert Gefühle und Emotionen, die im Sumpf jedoch ihrer Fließfähigkeit beraubt sind. Die Emotionen stecken fest, sie stagnieren. Der gespaltene Kopf ist Sinnbild für den Zweifel, der den Glauben wanken lässt.

Herakles versucht, Kontrolle über diese Gedanken zu erlangen – zunächst indem er (typisch männlich) einen nach dem anderen tötet. Er erkennt jedoch, dass diese Methode nicht zum Ziel führen wird. Es sind einfach zu viele, die aufgeschreckt wild durcheinanderfliegen und noch aggressiver werden. Die Lösung kommt erst mit himmlischer Hilfe durch die Göttin Athene.

Diese Hilfe ist Hinweis auf transpersonale Einflüsse bei der Bewältigung eines Problems. Athene ist die Göttin der Weisheit, die den besten und effektivsten Weg zur Lösung eines Problems kennt. Unter den drei geistigen (transpersonalen) Planeten passen diese Eigenschaften am ehesten zum Planeten Uranus, der in der Astrologischen Psychologie zu den „weiblichen“ Planeten gehört. Er wird der Meditation zugeordnet: Meditieren ist eine Uranus-Funktion. Als Herakles erkennt, dass seine Methode, die sechste Aufgabe zu bewältigen, nicht zum Ziel führt, tritt er zurück von seinem Tun und wird damit offen für Athenes Lösung. Ihre Methode ist nicht kämpferisch-aggressiv, sondern weiblich-raffiniert und führt nicht zur Vernichtung, sondern zur Vertreibung der Stymphaliden.

In dieser Herakles-Aufgabe geht es um effektive Gedankenkontrolle. Gedanken sind ein machtvolles Instrument. Mit ihnen erbauen wir unsere Welt. Die Esoterik spricht deshalb auch von Gedankenformen. Warum ist Kontrolle der Gedanken für die Qualität des Zeichens Schütze wichtig?

Schütze ist idealistisch, zielorientiert und strebt nach dem tieferen Sinn, nach der Wahrheit oder dem, was für die Wahrheit gehalten wird – die Anschauung von Wahrheit. Es ist eine persönliche Anschauung, meist entwickelt durch lange Reisen, durch Auseinandersetzung mit verschiedenen philosophischen oder religiösen Themen und durch eigene Lebenserfahrungen. Es bilden sich Gedankenformen, die sinnvoll und sinnstiftend erscheinen. Die Zwillinge-Polarität stellt jedoch die eigene Wahrheit, die Summe der eigenen Gedankenformen, infrage und relativiert sie. Das Bewusstsein ist absorbiert in Argumenten, in pro und contra, wahr und unwahr. Wichtig ist, Stille in das Bewusstsein einkehren zu lassen, Distanz zu den Gedankenformen zu schaffen, zu beobachten, wie sie kommen und gehen. Im Mythos wird dies durch den Ton von zwei großen Zimbeln („Klappern“) erreicht. Der durchdringende Ton vertreibt das gedankliche Chaos, bis Stille einkehrt. In dieser Stille kann Schütze seinen Pfeil aussenden in der Gewissheit, das Ziel zu treffen. Dabei geht es nicht so sehr darum, das Ziel zu treffen, sondern sich zu sammeln und zu konzentrieren.

Schütze ist das auf Steinbock vorbereitende Zeichen und wird in einigen alten Büchern «das Zeichen der Stille» genannt. In den alten Mysterien musste der neu aufgenommene Bruder schweigend sitzen, es war ihm nicht erlaubt zu gehen oder zu sprechen; er musste «sein», arbeiten und wachen, weil man nicht in das fünfte geistige Reich eintreten oder den «Berg des Steinbock» erklimmen kann, bis Beherrschung der Rede und Gedankenkontrolle erreicht sind. Das ist die Lektion im Schützen: Beherrschung der Rede durch Gedankenkontrolle. Und das wird uns weiterhin beschäftigen, denn nachdem die gewöhnlichen Redeformen aufgegeben sind, wie leeres Geschwätz und Klatsch, muss gelernt werden, Zurückhaltung der Rede über geistige Dinge zu üben und zu erkennen, was über das Leben der Seele nicht gesagt werden soll. Ich meine damit das weitschweifige Gerede über Dinge, für welche die Menschen womöglich noch gar nicht reif sind. (Alice Bailey)

Vollmond in Schütze

Am 27. November 2023 ist Vollmond. Er reflektiert das Licht der Sonne im Tierkreiszeichen Schütze und lädt die Menschen dazu ein, ebenfalls diese Qualität in ihrem Bewusstsein zu reflektieren. Vor allem über die Begrenzungen, die Saturn dem aktuellen Vollmond auferlegt, denn Saturn bildet mit dem Vollmond ein Leistungsdreieck. Ob es gelingt, Stille im Bewusstsein einkehren zu lassen, um die beste Lösung der Probleme zu finden?

 

 

Literatur:
Wolfgang Denzinger: Die zwölf Aufgaben des Herakles im Tierkreis. Kailash
Alice Bailey: Die Aufgaben des Herkules. Lucis Genf
Louise Huber: Die Tierkreiszeichen – Reflexionen Meditationen. API-Verlag

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2 Gedanken zu „Schütze

  1. Ranma

    Also mit engem Bezug zum Luftelement, aber auch etwas zum Wasser (ich kenne ein Luftzeichen, das Wasser sogar im Namen trägt), der fixen Qualität und dann noch zum Uranus gelangt man am Ende zum Schützen???
    Ranma

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    1. starfish Beitragsautor

      Herakles ist eine Heldenfigur der griechischen Mythologie. Er ist Sohn des Zeus und der sterblichen Alkmene, also halb göttlicher, halb menschlicher Herkunft. Er ist damit ein Sinnbild für den Menschen, dessen Leben meist auch einer Heldenreise gleicht. Das heißt, die Aufgaben, die Herakles zu erfüllen hatte, können dem Menschen Auskunft darüber geben, wie er in Konfliktsituationen im Leben reagieren kann. Die Tiefenpsychologie schöpft reichlich aus dem mythologischen Material. Sicher hast du schon vom Ödipuskomplex gehört.

      Herakles musste zwölf Aufgaben lösen. Da klingeln dem Astrologen gleich die Ohren, denn das könnte eine Reise durch die zwölf Tierkreiszeichen sein. Allerdings herrscht unter Astrologen keine Einigkeit, welche Aufgabe welchem Zeichen zuzuordnen ist. Im Astro-Wiki werden die Ausführungen einer anderen Autorin geschildert. Olga von Ungern-Sternberg widmet sich den tiefenpsychologischen Aspekten, Alice Bailey den esoterischen. Ungern-Sternberg ordnet die sechste Heraklesaufgabe dem Zeichen Zwillinge zu. Zwillinge/Schütze bilden gemeinsam die Denkachse.

      Der Text ist weniger als Beschreibung des Tierkreiszeichens Schütze gedacht. Darüber gibt es Bücher und Webseiten wie Sand am Meer. Mich interessieren die esoterischen Bezüge. In jedem der zwölf Zeichen ist ein Entwicklungsweg enthalten. Menschen verändern sich im Laufe ihres Lebens, sie können dazulernen. Jemand, in dessen Horoskop das Zeichen Schütze eine wichtige Rolle spielt, zum Beispiel durch den Aszendenten oder die Sonne, könnte vom Heraklesmythos profitieren, indem er Gedankenkontrolle übt, zum Beispiel in Form von Raja Yoga.

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