11. Feb 2013 – 11:11:05
Die Sanskritbezeichnung für Aspekt ist drishti = Blick, Sicht, Haltung.
Sambandha
Planeten im gleichen Zeichen stehen in enger Verbindung miteinander und üben gegenseitig einen intensiven Einfluss aufeinander aus, ähnlich dem Konjunktionsaspekt der westlichen Astrologie.
Das Grundlagenwerk Brihat Parashara Hora Shastra (BPHS) erwähnt über diese Verbindung hinaus Rashi Drishti und Graha Drishti.
Rashi Drishti
Diese Aspektvariante wird bereits im 8. Kapitel des Brihat Parashara Hora Shastra erklärt. Rashi (Menge, Sammlung, Anzahl) ist die Sanskritbezeichnung für Tierkreiszeichen. Rashi Drishti lässt sich mit „Zeichenaspekt“ übersetzen. Jedes Tierkreiszeichen aspektiert bestimmte andere Zeichen, unabhängig davon, ob sich in diesen Zeichen Planeten befinden oder nicht. Jeder Zeichenaspekt ist von gleicher Stärke und Wirkungsintensität.
Jedes kardinale (chara = beweglich) Zeichen aspektiert die fixen (sthira = fest) Zeichen, ausgenommen das unmittelbar angrenzende fixe Zeichen. Jedes fixe Zeichen aspektiert die kardinalen Zeichen, mit Ausnahme des unmittelbar angrenzenden kardinalen Zeichens. Jedes veränderliche Zeichen (dvisvabhava = dual) aspektiert die drei anderen veränderlichen Zeichen.
Zeichnet man die Rashi Drishti in ein südindisches Horoskop ein, ergibt sich folgendes Bild:
Graha Drishti
Diese zweite Aspektvariante wird im BPHS erst später, im 26. Kapitel, erklärt. Graha ist der Sanskritausdruck für Planet. Graha Drishti lässt sich entsprechend mit „planetarer Aspekt“ übersetzen. Die Planeten bilden verschiedene Graha Drishti in unterschiedlicher Stärke. Man unterscheidet volle Graha Drishti von solchen mit vergleichweise halber Stärke oder nur mit der Stärke eines Viertels oder Dreiviertels der vollen Aspektstärke, die sich unterschiedlich auf die sieben klassischen Planeten verteilen.
Die beiden Mondknoten Rahu und Ketu bilden gemäß Brihat Parashara Hora Shastra keine Graha Drishti. Sie können nur Graha Drishti der anderen Planeten empfangen. Die Mondknoten können andere Planeten über Rashi Drishti aspektieren.
In der klassischen indischen Literatur wird die Aspektstärke nicht in prozentualen Werten oder mit differenzierten Orben ausgedrückt, sondern in Virupa. Der volle Aspekt (100 %) entspricht 60 Virupa. Ein Dreiviertelaspekt entspricht demzufolge 45 Virupa, der halbe Aspekt 30 Virupa und der Viertelaspekt 15 Virupa. Grafisch lassen sich diese unterschiedlichen Aspektstärken wie folgt darstellen:
Tabellarische Darstellung der Graha Drishti
Jede gute Jyotish-Software zeigt die Stärke der einzelnen Graha Drishti der Planeten in Virupa in einer separaten Tabelle an. Meist sind die Astrologen an ihren Gebrauch nicht gewöhnt. Ich habe auch viele Jahre keinen Blick darauf verschwendet. Meist verwenden indische Astrologen nur die vollen planetaren Aspekte. Das ergibt jedoch nicht selten ein „schiefes“ Bild der tatsächlichen Aspektlage.
Ein Beispiel:
Abgebildet sind das Rashi D-1, das Navamsha D-9 und eine Tabelle der Graha Drishti im D-1. Saturn steht im Rashi auf 10°38′ Steinbock und bildet von dort einen vollen planetaren Aspekt auf das Zeichen Fische (3. Rashi), in dem sich keine Planeten befinden, auf das gegenüberliegende Zeichen Krebs (7. Rashi) mit Venus darin und auf das Zeichen Waage (10. Rashi), in dem ebenfalls keine Planeten stehen. Man würde also meinen, Saturn blickt nur Venus an, und sonst keinen Planeten. Betrachtet man jedoch in der Aspekte-Tabelle die grün markierte Zeile der Aspekte, die Saturn bildet, so sehen wir neben dem ziemlich exakten Aspekt zur Venus (55 Virupa), dass Saturn auch einen fast gleich starken Aspekt zum Mond bildet, immerhin 49 Virupa. Dies erklärt sich damit, dass der Mond im 8. Zeichen von Saturn gerechnet steht, Saturn also einen Dreiviertelaspekt auf den Punkt 10° Löwe bildet.
Violett sind in der Tabelle die Aspekte markiert, die Saturn von anderen Planeten erhält. Venus direkt in Opposition wirft mit 59 Virupa den stärksten Aspekt, aber Jupiter, der im 6. Haus von Saturn steht (d.h. Saturn befindet sich im 8. Haus von Jupiter aus gesehen), wirft ebenfalls einen starken Aspekt von 52 Virupa auf Saturn. Die Sonne wirft immerhin einen 45 Virupa starken Blick auf Saturn. Diese Einflüsse würden uns entgehen, wenn wir nur mit den vollen planetaren Aspekten arbeiten würden, wie es bei den meisten indischen Astrologen heute üblich ist.
Aspekte in den einzelnen Varga
Graha Drishti hängen eng mit der Position eines Planeten in einem Tierkreiszeichen zusammen. Von dort aus aspektiert der Planet bestimmte Punkte des Zodiaks in unterschiedlichen Stärken. In den einzelnen Varga (divisional charts, ähnlich den Harmonics) ist die Grundlage nicht mehr der gesamte Zodiak von 360 Bogengraden, sondern die Position der Planeten des Grundhoroskops auf bestimmten Zeichengraden. Deshalb sollte man dort die Verwendung der Graha Drishti vermeiden und sich auf Rashi Drishti beschränken. Dies hat außerdem den Vorteil, dass Rashi Drishti immer zweiseitig wirken, im Gegensatz zu den Graha Drishti, die wie eine Einbahnstraße nur vom aspektierenden Planeten wegführen.
Es ist leicht nachvollziehbar, warum die Aspektierungsmethode der Graha Drishti in den einzelnen Unterhoroskopen wenig Sinn macht, denn dort kann man die Stärke der planetaren Aspekte nicht in Virupa ermitteln. Im Navamsha D-9 steht Saturn im Widder-Navamsha gemeinsam mit dem Mond. Die beiden haben auf der Navamsha-Ebene eine Sambhanda-Beziehung. Rashi-Aspekte bildet das Zeichen Widder mit Saturn und Mond mit den Zeichen Löwe mit Merkur, Skorpion und Wassermann.
Lese-Tipp:
Ernst Wilhelm: Vault of the Heavens