Der amerikanische Psychologe Arthur Janov arbeitete in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Psychotherapeut nach Freudscher Richtung, bis er 1967 ein Schlüsselerlebnis mit einem Klienten hatte, der sich während einer therapeutischen Sitzung an eine Methode des Absurden Theaters erinnerte, bei der der Protagonist auf der Bühne „Mama!“ schreit und das Publikum einlädt, es ihm gleichzutun. Janov fordert den Klienten daraufhin auf, genau dies zu tun und der Klient fällt schließlich voller Wut und Schmerz zu Boden. Die neue Therapiemethode, die Arthur Janov daraufhin entwickelt, nennt er Primärtherapie. In seinem ersten Buch Der Urschrei (The Primal Scream) schreibt er:
Urschmerzen sind ungelöste primäre Bedürfnisse, Spannung ist die Empfindung dieser vom Bewußtsein abgetrennten Bedürfnisse, Spannung wirkt in der Seele als Inkonsequenz, Verwirrtheit und Gedächtnisschwäche und im Körper als verkrampfte Muskulatur und Störung der viszeralen Prozesse.
Den Versuch des Kindes, seine Eltern zufrieden zustellen, nenne ich Kampf.
Der Kampf ist die Hoffnung des Neurotikers, geliebt zu werden. Kampf verschleiert den Schmerz.
Der Kampf bewahrt das Kind davor, seine Hoffnungslosigkeit zu empfinden.
Quelle: Integrative Primärtherapie
In Anlehnung an dieses erste Buch über die Primärtherapie wurde Janovs Methode in Deutschland zunächst als „Urschrei-Therapie“ bekannt.
Im Horoskop von Arthur Janov fällt als erstes eine große, den Kreis in der Horoskopmitte umspannende Vierecksfigur ins Auge, an der die drei Ich-Planeten Mond, Sonne und Saturn sowie Mars beteiligt sind.
Die drei Ich-Planeten spielen eine maßgebende Rolle im Familienmodell nach Bruno Huber. Der Mond bildet dabei die subjektive Erlebnis- und Sichtweise des Kindes ab, während der Vater über den Sonnen-Stand und die Mutter über die Saturn-Position im Horoskop beschrieben werden kann.
Am günstigsten ist, wenn Sonne, Mond und Saturn untereinander nicht durch direkte Aspektierungen verbunden sind, denn jeder direkte Aspekt bedeutet eine übermäßige Bindung an den jeweiligen Elternteil. Bei Janov aspektieren sich alle drei Ich-Planeten in der Figur, was auf intensive bis massive Bindungen der Eltern und des Kindes hindeutet. Für das Kind bedeutet dies eine meist übermäßig Bindung an die Eltern, mit all ihren guten und schlechten Seiten. Mars, der in die Vierecksfigur direkt eingebunden ist, deutet auf Familienmodell voll Härten, Aggression, Wut und Zorn hin. Der Schrei und der Schmerz wird in der klassischen Astrologie dem Planeten Mars zugeordnet. Es hat fast den Eindruck, dass Janov mit der Primärtherapie auch seine eigenen frühkindlichen Erfahrungen therapeutisch angehen wollte.
Der Mond steht in dieser Figur namens Doppelte Ambivalenzfigur (Ambivalenz-Viereck) an der Spitze des roten Leistungsdreiecks. Der Mond, Symbol für das innere Kind und Kontakt-Ich, kommt hier unter stark fordernden Leistungsdruck. Die in der Sonne/Mars-Opposition aufgestaute Energie entlädt sich am Mond, setzt diesen unter Druck, verletzt ihn regelrecht. Sie lässt großen emotionalen Schmerz erahnen, verbunden mit Wut und Zorn. Frustrationen, die sich in der frühen Kind nicht vermeiden lassen, verliefen hier vermutlich nicht „optimal“ sondern das kleine Kind in seinen primären Bedürfnissen stark überfordernd und damit traumatisierend.
Die Mutter, im astro-psychologischen Familienmodell der Planet Saturn, bildet hierzu einen Gegenpol, der Entspannung und Genuss verspricht. Saturn steht in blauen Aspekten zur Opposition. Saturn löst den Konflikt allerdings nicht auf, sondern er weicht eher aus in den Genuss, vielleicht sogar in Süchte. Der überforderte Mond sehnt sich nach diesem Ruhe- und Genusspol, wie das Quincunx zu Saturn andeutet. Das Ergebnis ist eine permanente Ambivalenz, ein Pendeln zwischen Leistung und dem damit verbundenen Schmerz und der genussvollen Entspannung und Ruhe auf der anderen Seite. Auf das DU (rechte Horoskophälfte) kann man entspannenden und stabilisierenden Einfluss ausüben, während das innere Kind auf der ICH-Seite schreit und wütend ist und sich nicht um seiner selbst willen geliebt fühlt. Es muss sich Liebe erst erarbeiten/verdienen (die Quadrate zum Mond).
Primäraspekte des Alterspunktes (Konjunktionen und Oppositionen) in den ersten zwölf Lebensjahren stellen sehr häufig eine frühkindliche Prägung oder auch Fixierung dar. Der Begriff Fixierung bringt bereits zum Ausdruck, dass es in der Entwicklung, die im Grunde eine fließartige Bewegung hat, durch ein schmerzhaftes (traumatisches) Erleben zu einem Stillstand in einem bestimmten Bereich gekommen ist, an dem das Bewusstsein nicht mehr frei fließen kann, sondern festgelegt ist – fixiert. Solche Erlebnisse und Erfahrungen entwickeln häufig einen komplexhaften Charakter und sie bestimmen im späteren Erwachsenenalter reflexhafte Verhaltensweisen und Automatismen.
In Arthur Janovs Horoskop fand im Alter von rund fünf Jahren der erste Primäraspekt statt: eine Konjunktion zum Mond im Schatten der zweiten Hausspitze. Mit dieser Konjunktion wurde die gesamte Aspektfigur angezündet, in der sich der Mond gemeinsam mit Sonne, Saturn und Mars befindet. Es ist anzunehmen, dass er damals in der Situation des Kleinkindes war, die er in Der Urschrei beschreibt:
Primärszene: Sie ist eine Zeit im Leben des kleinen Kindes, in der sich alle bisherigen Demütigungen, Ablehnungen und Versagungen zu der beginnenden Erkenntnis summieren: Es besteht keine Hoffnung, dass ich um dessentwillen geliebt werde, was ich bin. Dann wehrt sich das Kind gegen diese katastrophale Erkenntnis, indem es sein Gefühl abspaltet und still und leise in die Neurose hineingleitet.
Etwas mehr als 36 Jahre später, nach dem zweiten Primäraspekt zum Mond (Opposition), entwickelt Janov die Primärtherapie, als der Alterspunkt auf die Konjunktion mit Jupiter zuläuft, der im Häuserhoroskop an der Spitze eines Leistungsdreiecks mit der Sonne/Mars-Opposition steht. Er fand ein Ventil, die Wut und den Schmerz des Kindes in sich auf sinnvolle und vielleicht tatsächlich heilsame Weise auszuagieren.
Hallo Starfish,
zwei Anmerkungen aus der klassischen Perspektive:
Der Aszendent liegt auf dem Supererhöhungsgrad des Mondes (3 Grad Stier)
und der Mond wiederum steht auf dem sehr ungünstigen Fixstern Algol!!
Das sind doch Aspekte die ihre Deutung weiter auffächern könnten…?! oder nicht…?
gruß aus Bochum, T.K.
Hallo Birgit,
schöner Beitrag zu einem der wichtigen „Chirons“ im 20. Jahrhundert
laut MRL kommen die Dinge im 11. Haus „zum Ursprung“ – hier der Mars = Schrei, bei Widder und Chiron in 12 und die Sonne im Löwen in 5 betont das expressive Verhalten, das passt alles sehr gut zur „Urschrei-Therapie“. Dazu kommt, dass Janov mit dem neuen MK in 5 im Löwen über die Expression (Löwe/Haus 5) zu seiner Evolution (neuer MK) findet.
Alles Gute
Vincento