Christiane F.

Im Schuljahr 1980/81 machte in meiner Schulklasse ein Buch die Runde mit dem Titel „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Irgendwann landete es auch in meinen Händen. Es war die Zeit, als die BRAVO auf einer Doppelseite ein Foto eines ‚Drogenkoffers‘ abdruckte (→  „Rauschgift-Fahnder packen aus“). In Tütchen, Gläschen und Röhrchen war darin verpackt, was es damals auf dem Markt zu kaufen oder von Fahndern sicherzustellen gab. Der geneigte Teenie konnte sich ein Bild davon machen, in welchen Farben es Heroin gibt (mal weiß, mal braun), dass Haschisch mal grün aus der Türkei, rot aus dem Libanon oder schwarz aus Afghanistan kommt, dass Gras wie Kräutertee aussieht, außerdem Tabletten, Pillen, Pilze, Kokain… – wir 13jährigen waren top informiert. Es kam sogar ein Kriminalbeamter vom hiesigen Rauschgiftderzernat in die Schule, um uns eine Unterrichtsstunde in Sachen Prävention zu geben. Drogen waren DAS Thema an deutschen Schulen.

Dieses Buch, die Geschichte eines Teenagers, der nicht viel älter war als wir, und dessen Geschichte so ähnlich klang wie die von vielen anderen in unseren Freundes- und Bekanntenkreisen, wurde 1981 verfilmt. Die Erwachsenen waren entsetzt, wir Jugendlichen nicht, denn dass die Welt so ist, wie sie ist, und nicht so, wie die Eltern sich das einbildeten, wussten wir schon längst aus eigenen Erfahrungen. Es war die Zeit des „no future“ und „null Bock“. Unsere Lehrer wollten den Film mit uns im Kino anschauen, scheiterten jedoch daran, dass der Film für unsere Altersklasse nicht freigegeben war – obwohl der Film von den Drogenerfahrungen einer 13jährigen handelte – sondern erst für Jugendliche ab 16 Jahren. Ohne Lehrer kamen wir natürlich problemlos ins Kino, um uns den Film anzuschauen.

Am 9. Februar 2022 läuft er wieder im Fernsehprogramm des Senders arte

Ihren Anfang nimmt eine Suchterkrankung in der Kindheit. Denn in unserer Kindheit werden die Weichen gestellt, ob wir eine „starke“ Persönlichkeit entwickeln können, die von ihrer Umwelt Liebe und Wertschätzung erfahren hat, die voll Selbstvertrauen und Vertrauen in andere ihren Weg ins Leben geht, die gelernt hat, dass auch in scheinbar ausweglosen Situationen Alternativen möglich sind, und die auch in schwierigen Lebenssituationen und in Zeiten von Einsamkeit und fehlender Bestätigung seitens der Umwelt nicht zu zerbrechen drohtSaturn. Aus diesem Grund wandert der Blick des psychologischen Astrologen zunächst zu den drei Persönlichkeitsplaneten, unter ihnen insbesondere den Mond, das Kind-Ich, aber auch Saturn, das Selbstvertrauen und grundlegende Sicherheitsgefühl, und die Sonne, die „starke autonome Persönlichkeit“.Sonne

NeptunSehr häufig spielt außerdem der Planet Neptun eine wichtige Rolle. An ihm lässt sich im Horoskop ablesen, inwieweit wir in den ersten Lebensmonaten das für das spätere Leben so wichtige URVERTRAUEN entwickeln durften, oder ob wir künftig voller Misstrauen durchs Leben gehen werden. Ein stark verletzter Mond deutet auf Frustration und mangelhafte Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse des Kleinkindes hin. Ein verletzter Saturn ist Hinweis auf Probleme mit der Abgrenzungsfähigkeit. Und eine verletzte Sonne deutet auf Schwierigkeiten in Fragen der Autonomie hin, die auch ohne Bestätigung seitens der Umwelt ein starkes Selbstbewusstsein aufrechterhalten kann (siehe auch: Das Ich im Horoskop).

Von Christiane F. wissen wir durch ihr erstes Buch (Wir Kinder vom Bahnhof Zoo), dass sie eine schwierige Kindheit durchleben musste, mit vielen Traumatisierungen durch den aggressiven und schlagenden alkoholkranken Vater und eine devote Mutter, die sich lange Zeit nicht von ihrem Ehemann abgrenzen konnte, und die so ihre Augen vor dem Leid ihrer Töchter verschloss. Als die Mutter sich trennt und zu ihrem neuen Freund zieht, hören die familiären Auseinanersetzungen nicht auf, denn Christiane versteht sich auch mit dem neuen Freund der Mutter nicht. Als sie nach der Grundschule auf eine neue Schule kommt, sucht sie dort Anschluss bei einer neuen Freundin und einer Clique von Freunden, durch die sie in Kontakt mit Drogen kommt. Die Clique wird zum Ersatz für eine intakte Familie.

Radix mit AlterspunktNeptun steht im Horoskop von Christiane F. im exakten Quadrat zur Mondknotenachse und zu Saturn am absteigenden Mondknoten, außerdem im Halbsextil zum Mond und im Trigon zu Jupiter. Die roten Aspekte, speziell das Quadrat zu Saturn, zeigen große Schwierigkeiten beim Aufbau des im Leben so wichtigen Urvertrauens. Die blau-grünen Aspekte zu Mond und Jupiter eröffnen zwar Alternativen, jedoch offenbar mehr in die „schöne Welt des Scheins“ der Drogen. Der Mond steht wie Neptun an der Spitze eines roten Leistungsdreieck, ist in seinen emotionalen Bedürfnissen folglich ähnlich traumatisiert, vor allem erkennbar am Quadrat zu Pluto. Er versucht Halt zu finden im Sextil zu Saturn, der Mutter. Doch Saturn steht am absteigenden Mondknoten, verkörpert somit ein veraltetes mütterliches Rollenmodell, das aus der prekären Situation des Neptuns und des Mondes nicht retten kann. Die Mutter ist selbst gefangen in alten Reflexen und Automatismen (absteigender Mondknoten).Leistungsdreieck

Die Drogenkarriere der jungen Christiane entwickelt sich, als sie mit 10 Jahren auf die Oberschule kommt. Der Alterspunkt steht in Konjunktion mit Neptun. Das Bewusstsein öffnet sich für die Liebe, für wortloses Verstehen, für ideale Beziehungen in Freundschaften. Als der Mondknoten-AP in Konjunktion mit der Sonne steht, verkehrt sie in dem Jugendhaus, in dem sie durch die Clique in erste Berührung mit Drogen kommt.

Mondknotenhoroskop

Mondknotenhoroskop

Die Sonne ist das autonome Ich, das im Idealfall es aushalten kann, alleine im Leben bestehen zu können, ohne Bestätigungen seitens Freunden und Familie. Im 3. Haus des Mondknotenhoroskops ist diese Sonne jedoch kollektiven Denkvorstellungen unterworfen. Im 3. Haus ist es der Sonne wichtig, zu einem Kollektiv dazuzugehören und mitreden zu können. Sie will hier so sein wie die anderen in der Clique. Die Clique befindet sich zwar im Kontrapunkt zur Gesellschaft, doch innerhalb der Clique herrschen ähnliche Regeln und ungeschriebene Gesetze, die nicht übertreten werden dürfen, um vom Cliquen-Kollektiv nicht verstoßen zu werden.  In der Radix steht die Sonne jedoch im 9. Haus. Für Christiane geht es eigentlich um Autonomie, vor allem im Denken, und darum zu erkennen, wie ein Teil eines Kollektivs zu sein sie in ihrer Autonomie einschränkt, sie im wahrsten Sinne abhängig macht.

Singleklick

Singleklick

Der Mond im 3. Radix-Haus erschwert die Autonomie-Bemühungen der Sonne, denn ihm geht es ganz konkret um emotionale Anerkennung, um Geliebtwerden von den anderen, um das emotional Berührtwerden von den Gleichaltrigen. Im Quadrat zu Pluto wird das Drama des Lebens förmlich gesucht, das Wandern entlang der Grenze von Leben und Tod. Im Mondknotenhoroskop steht der Mond im 9. Haus, wo in der Radix die Sonne steht.  Der Singleklick zeigt die Spannung zwischen kollektiven und autonomen Denkvorstellungen, durch die sich Christiane eigentlich durcharbeiten muss, was ihr bisher jedoch offenbar noch nicht ausreichend gelungen ist. Das neue Buch ist ein neuer Versuch. Als der Mondknoten-AP vor drei Jahren in Konjunktion mit dem Mond stand, meldet sich eine junge Journalistin. Aus diesem Kontakt entsteht die Idee, ein neues Buch zu schreiben über die Jahre danach.

Häuserhoroskop

Häuserhoroskop

Wenn die Entwicklung bereits in Kindheit  und Jugend entgleist, „auf die schiefe Bahn gerät“, lohnt immer ein Blick in das Häuserhoroskop, das Aufschluss über die Konditionierung durch das erziehende Milieu der Kindheit gibt.

Stehen in der Radix beide „Liebes-Planeten“, Neptun und Mond, die so grundlegend für die Entwicklung von Urvertrauen ins Leben sind, noch jeweils an der Spitze eines roten Leistungsdreiecks, was auf frühkindliche Traumatisierung, mit Pluto besonders schwer und massiv, hinweist, so fallen diese T-Quadrate im Häuserhoroskop weg. „Alles nicht so dramatisch“, schien ihr die Umwelt zu suggerieren. „Stell dich nicht so an, dramatisiere deine Verletzungen nicht, ist doch gar nicht so schlimm. Übertreibe nicht.“ Die Umwelt hatte Christiane F. in ihren Verletzungen offenbar nicht wahr- und angenommen. In den 70er Jahren war Gewalt im Elternhaus noch ein Tabuthema, das in der Schule von Lehrern sehr häufig ignoriert wurde. Die Kinder mussten sich selbst einen Weg durch das Drama ihres jungen Lebens bahnen.

Radix- und der Mondknoten-AP standen vor anderthalb Jahren in Opposition zueinander an der Zeichengrenze 0° Zwillinge. 36 Jahre zuvor, am 10. April 1976, als dies das erste Mal der Fall war, schnupfte Christiane F. erstmals bei einem Konzert von David Bowie in Berlin Heroin. Jetzt mit dem Alterspunkt im 9. Haus schreibt sie über die Folgen.

Dynamische Auszählung

Mit der dynamischen Auszählung wird die individuelle Verteilung der Planeten in den Zeichen und Häusern durch Zahlenwerte sichtbar gemacht. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem quantitativen Energie-Gefälle, das sich im  Vergleich zwischen Zeichen (= Anlage) und Häusern (= Umwelt) ergibt. Die Zahlen offenbaren, in welchem Maße die Planeten einerseits von der Anlage her mit Energie ausgestattet wurden (Zeichen = Erbanlagen) und inwieweit dieses Energieangebot seitens der Umwelt nachgefragt und eingefordert wird (Häuser = Umweltforderung).

Dynamische AuszählungDie Gesamt-Stresszahl zeigt an, in welchem Maße das gesamte Energiesystem eines Menschen stressfähig bzw. -anfällig ist. Sie lässt Rückschlüsse zu auf die Lebens- und Leistungsfähigkeit sowie auf eventuelle Krankheitserscheinungen. Für Christiane F. ergibt sich eine Gesamt-Stresszahl von -23. Minuswerte deuten auf ein hohes Niveau von angelegten Potentialen in den Zeichen, das von der Umwelt in den Häusern jedoch nicht  nachgefragt wird, bzw. für das man in Kindheit und Jugend von der erziehenden Umwelt keine Gebrauchsanweisung erhalten hat. Diese Menschen fühlen sich entsprechend von der Umwelt verkannt, ignoriert, in ihren Fähigkeiten nicht ernst- und wahrgenommen. Sie haben nicht gelernt, das Bestmögliche aus ihren Anlagen zu machen, und dieses mangelnde Know-How kann zu großér Verunsicherung und zwanghafter Leistungsflucht führen, oder auch zur Flucht in die Krankheit. In der Kindheit wurden Minus-Typen häufig vernachlässigt oder sogar unterdrückt. Sie fühlen sich als Außenseiter und geraten immer wieder in chaotische Bewusstseinszustände. Die Vernachlässigung in der Erziehung bietet im besten Falle die Chance zur Freiheit, sich selbst eine eigene Form zu geben, sich selbst zu erziehen. Das benötigt jedoch Arbeit und Mut, den eigenen Weg im Leben zu gehen.

Häuser-Zeichen-DifferenzIm Horoskop von Christiane F. ist die gesamte Denkachse, d.h. die Häuser 3 und 9 sowie die Zeichen Zwillinge und Schütze mit Minuszahlen belegt. Diese Zahlen ergeben sich, wenn man die Zahlen in den Kreuzen zu den Zahlen in den Temperamenten addiert. Wenn der Alterspunkt durch diese Häuser und Zeichen wandert, kam und kommt diese „Minus-Qualität“ besonders zum Ausdruck.

Minus-Zeichen und –Häuser deuten auf Lebensbereiche hin, in denen es nicht darum geht, einen möglichst hohen Output aus den vorhandenen Anlagen herauszuholen, also mit hausgemäßem Verhalten die Umwelt zu beeindrucken, sondern deren „mangelndes Interesse“ an den eigenen Fähigkeiten für innere Entwicklungsprozesse zu nutzen – es als Raum der Freiheit zu verstehen, in dem wir unbeeinflusst von der Außenwelt und Konditionierungen uns eine eigene Form geben können.

Für Christiane F. bedeutete dies vor 36 Jahren beim AP-Durchgang durch das 3. Haus (12 bis 18 Jahre, 1974 bis 1980), sich dem Mond, d.h. den emotionalen Bedürfnissen, auf schützehafte Art und Weise, d.h. autonom zu widmen und nicht im Kollektiv mitzulaufen und mitzureden, nur um Dabeisein zu können und von anderen geliebt zu werden.

Heute, da der AP durch das 9. Haus und das  Zeichen Zwillinge wandert, geht es für sie darum, die innere Unruhe, den Nervenkitzel, den es immer wieder braucht, der sie immer wieder weitertreibt und keine Ruhe finden lässt, zu erkennen und aufzugeben. Dann kann sie sich in Ruhe dem bislang gesammelten Wissen, den Erfahrungen, die gesammelt wurden, zuwenden und die Essenz daraus ziehen.

Diesen Ausgleich kann Christiane F. jetzt anstreben, denn solange der Alterspunkt die Denkachse in Haus und Zeichen aktiviert, ist die rechte Zeit, eine Angleichung bzw. eine Abstimmung von Innen und Außen zu erreichen. Sie zieht sich dann mit dem Bewusstseinsschwerpunkt weg von der Peripherie des Lebens im Außen und in Äußerlichkeiten hinein in das Zentrum zugunsten eines Lebens aus der Mitte. Darum geht es bei Minus-Zahlen in der Dynamischen Auszählung. Mehr zu dieser Spezialität der Astrologischen Psychologie in einem späteren Artikel.

Vieles gibt es über dieses Horoskop noch zu schreiben, vor allem über die indischen Horoskope, die ebenfalls sehr aufschlussreich sind.

Fortsetzung folgt…

 

Lesetipp:

Bruno und Louise Huber: Lebensuhr im Horoskop
Louise Huber: Entwicklungsprozesse im Horoskop, Autodidacta Heft, Astrolog Nr. 154, Nr. 155 und Nr. 156
Louise Huber: Auf- und Abbauprozesse im Horoskop, Astrolog Nr. 157 und Nr. 158

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