06. Aug 2012 – 22:11:10
Vor 50 Jahren, am 9. August 1962, starb Hermann Hesse, der Dichter, Phantasiemensch, Morgenlandfahrer und Glasperlenspieler. Er selbst schreibt über das Sujet seiner Werke:
Mein Thema ist, das Stück Menschentum und Liebe, das Stück Triebleben und Sublimierungsleben darzustellen, das ich aus meiner Natur heraus kenne, für dessen Richtigkeit, Aufrichtigkeit, Erlebtheit ich einstehen kann.
Es geht Hesse um den inneren Menschen, das eigene Wesen, dessen Selbstdarstellung und Analyse, die Auseinandersetzung mit dem Innen und Außen.
… ich habe mich im Laufe meiner Entwicklung den Problemen der Zeit nicht entzogen und nie, wie meine politischen Kritiker meinen, im elfenbeinernen Turme gelebt – aber das erste und brennendste meiner Probleme war nie der Staat, die Gesellschaft oder die Kirche, sondern der einzelne Mensch, die Persönlichkeit, das einmalige, nicht normierte Individuum.
Hermann Hesse nennt seine Erzählungen und Romane Seelenbiographien, an anderer Stelle auch Bekenntnisse: „Ich bin nicht ein Lehrer und Führer, sondern ein Bekenner, ein Strebender und Suchender“. Seine zahlreichen Leserinnen und Leser – Hesses Werk ist mittlerweile in einer Auflage von über 100 Millionen Exemplaren in mehr als 60 Sprachen in aller Welt verbreitet – fühlen sich von dieser Form des persönlichen Bekenntnisses unmittelbar in ihrem Innersten angesprochen, denn Hesse versteht es, auf poetische und kunstvolle Weise das zum Ausdruck zu bringen, was in uns selbst um Klärung und Bewusstwerdung ringt.
1998 druckte die Schweizer Fachzeitschrift für Astrologische Psychologie Astrolog meinen ersten Artikel ab, der sich dem Leben und Horoskop Hermann Hesses widmete. Anlässlich seines runden Todestages gebe ich hier einige Abschnitte dieser Arbeit wieder. Den gesamten Text können Abonnenten im Astrolog-Archiv des Astrologie-Portals online lesen. Auf der Starfish-Homepage ist der Text für jedermann zugänglich.
Das Aspektbild
Betrachten wir das Aspektbild, so können wir darin das Bild eines Diamanten erkennen, dessen facettenreicher Schliff dem DU entgegenfunkelt. Als breite er vor uns, dem DU, der Umwelt einen Fächer aus mit allerlei geheimnisvollen, magisch-mystischen, interessanten, schönen, originellen Dingen, Bildern und Geschichten… Eine wahre Wundertüte mit Neptun, Pluto, Merkur, Sonne, Venus und Uranus auf der DU-Seite! Und die Basis, der Grund, die Quelle all dieses Strahlens und Funkelns – Jupiter, die eigene Wahrnehmung, die zu persönlichen Erfahrungen, Bildern und Urteilen führt.
Trotz der Vierecksfiguren wirkt die Aspektstruktur dynamisch und lebendig. Schauen wir genauer hin, erkennen wir neben dieser fixen Motivation auch eine losgelöste Strichfigur (Sonne, Mars, Neptun) mit kardinaler Motivation, eine Dreiecksfigur (Saturn, Merkur, Uranus) mit veränderlicher Motivation sowie den unaspektierten Mondknoten. Eine sehr vielseitige Lebensmotivation also, ein Bewusstsein, dem kaum etwas im Leben fremd erscheinen mag, das in sich und auch im Außen die verschiedensten Seinsarten und Nuancierungen erkennen und nachempfinden kann.
Jupiter, nicht weit vom Aszendenten, wirft hauptsächlich waagerechte Energielinien aus dem Ich-Raum hinüber zum DU. Die eigenen, im wahrsten Sinne persönlichen (1. Haus) Beobachtungen und Erfahrungen werden dem DU präsentiert, z.B. erzählt oder geschrieben (Merkur), auf eine ästhetische ansprechende Weise dargestellt (Venus). Hesse malte u.a. auch Aquarelle von einfacher, bewegender Schönheit, und er spielte Violine.
Wir können auf der Horizontalen die Beziehung erkennen zwischen Hesse selbst, seinem Ich (AC), und seiner Umwelt, seiner Leserschaft, dem einzelnen DU (DC), das auf Hesse zurückwirkt und ihn beeinflusst, so sehr, dass er Zeit seines Lebens am liebsten zurückgezogen auf dem Lande oder in der Kleinstadt lebt, fernab vom Weltgetriebe. Hesse selbst beschreibt diese Verbindung zwischen Erzähler und Zuhörer so, „dass auch ich, wenn ich Geschichten erzähle, mit meinen Lesern eine gemeinsame Heimat bewohne, dass ich für sie nach einem Notensystem musiziere, das ihnen wie mir vollkommen vertraut und selbstverständlich sei“.
Der bewusstseinsmäßige Schwerpunkt im kollektiven Denken, unten im 3. Haus im Zeichen Fische, ist u.a. über senkrechte Aspekte zu den Planeten im 3. Quadranten verbunden – es wird hier die individuelle Entwicklung von kollektiven Denknormen – in Fische religiös und mythisch geprägt – hin zu einer bewussten Auseinandersetzung mit dem Du, der Umwelt angesprochen.
Das veränderliche Prinzip ist in Hesses Horoskop betont: die veränderlichen Zeichen sind durch die Mehrzahl der Planeten besetzt, darunter die Persönlichkeitsplaneten Mond und Saturn. Ebenso sind die veränderlichen Häuser betont, die AC/DC-Achse liegt auf der veränderlichen Zeichenachse Zwillinge/Schütze zusätzlich mit der Opposition Jupiter/Merkur, ebenfalls zwei sensitiv-veränderliche Planeten, die wiederum Quadrate zum sensitiven Mond im veränderlichen Zeichen Fisch und veränderlichen 3. Haus bilden.
Den Dichter und Schriftsteller können wir in der großen Aspektfigur erkennen mit den Planeten Jupiter, Saturn, Mond, Pluto, Merkur Venus, Uranus. Diese „große“ Figur besteht aus einer doppelten Ambivalenzfigur zwischen Jupiter/Mond/Merkur/Uranus, also drei sensitiven Planeten, die Bilder, Stimmungen und Gefühle anschaulich und originell formulieren und ausdrücken können. Außerdem ist ein Erfahrungsdreieck enthalten zwischen den Intelligenzplaneten Merkur/Saturn/Uranus, eine sehr lernintensive und schöpferische Komponente. Dann können wir noch ein Model-Viereck entdecken zwischen Jupiter/Mond/Pluto/Venus, das die Möglichkeit bietet, persönliche Erfahrungen in einem größeren Zusammenhang zu sehen und verarbeiten zu können, sowie eine Dominant-Viereck (Doppler-Viereck) zwischen Jupiter/Mond/Pluto/Uranus, ein Hinweis auf lebenslange Lern- und Erfahrungsprozesse.
Uranus ist der höchststehende Planet in diesem Horoskop: ganz oben auf der Prioritätenliste Hesses steht die Freiheit, Unabhängigkeit und die Suche nach der idealen, perfekten Welt.
Das Mondknotenhoroskop
Im Mondknotenhoroskop, das die Schattenpersönlichkeit repräsentiert, oder auch die Aufsummierung unserer Erfahrungen früherer Inkarnationen, eine Tiefenschicht des Unbewußten also, steht der aufsteigende Mondknoten in Konjunktion zu Jupiter und in Aspekt zu Uranus, Merkur und Saturn. Das Aspektbild ist wie auch im Radix viereckig und in seiner Struktur doch dynamisch, aber senkrecht gelagert: die Linien führen unten von Jupiter und Mondknoten im 3. Haus hinauf zu den Planeten im bewußten Horoskopbereich. In seinem tiefsten Wesen ist sich Hesse seiner Individualität gewahr, und sein individuelles Streben prägt sein Leben und sein Werk.
Mond, Mars und Saturn stehen im Mondknotenhoroskop in Fische im 12. Haus. Hier sehe ich eine der Quellen für die vielen Bilder und Geschichten, die im Grundhoroskop im 3. Haus mit persönlich Erlebtem verbunden und zu Märchen, Erzählungen und Romanen verwoben werden. Auch im Mondknotenhoroskop ist das veränderliche Prinzip betont – einerseits natürlich durch die Zeichenbesetzung, andererseits aber auch über die Betonung der veränderlichen Häuser. Vor allem die Opposition von Merkur/Jupiter auf der Denkachse hat eine direkte Analogie zur Zeichenachse Zwillinge/Schütze. Als der Mondknoten-AP im 3. Haus über Jupiter/Mondknoten und in Opposition zu Merkur läuft, erkennt Hesse, dass er Dichter werden will.
Das Thema der in Hesses Horoskop auf vielen Ebenen betonten Denkachse 3/9, Zwillinge/Schütze und analog Merkur/Jupiter beschäftigt ihn sein gesamtes Leben:
„Erkennen und Schaffen, Denker sein und Künstler sein sind Gegensätze, die sich ausschließen. Die Meinung, es sei Dichten und Denken nahezu dasselbe, und es sei Aufgabe der Dichtung, Weltanschauungen darzustellen, ist ein Irrtum.“
An anderer Stelle:
„Unsere Bestimmung ist, die Gegensätze richtig zu erkennen, erstens nämlich als Gegensätze, dann aber als Pole einer Einheit.“
Die Sonne steht im Mondknotenhoroskop am Talpunkt des 8. Hauses, im Grundhoroskop im Schatten der 8. Häuserspitze. Venus in 8 bleibt sogar an der gleichen Stelle sowohl im Radix als auch im Mondknotenhoroskop (Kreuzungspunkt). Wandlungsprozesse, ein Stirb und Werde des Selbstbewußtseins und ästhetischen Sinns ist also ein im tiefsten Wesen Hesses verwurzeltes Thema. Auch die Forderung zur Wandlung und Neugestaltung des geistigen familiären Erbes können wir hier erkennen, im Sinne Goethes
„Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“.
Literatur:
Bernhard Zeller: Hermann Hesse. rororo Bildmonographien August 1989
Reso Karalaschwili: Hermann Hesse – Charakter und Weltbild. Suhrkamp TB 1993