Thomas Ring

28. Nov 2009 – 10:55:10

«Es scheint als ob ich, der ich nach nennbaren Daten so und so beschaffen bin, ständig auf der Jagd sei nach meinem eigentlichen Wesen. Ich könnte dies Wesen genau definieren und würde es selber glauben, wenn die Mittel, es zu tun, nicht abhingen von Hand und Hirn in ihrem wechseln-den Zustand. Eine Zustandsbeschreibung gibt mir nichts Gültiges. Ich blicke scharf hin, tappe durch den Nebel der Verwandlungen, was ich ergreife ist dem gesuchten Wesen ähnlich und doch nie ganz ich selbst. Manchmal spüre ich es so unmittelbar in der Gestalt, die meiner Vorstellung soeben über den Bildschirm fließt, daß es mich durchzuckt: der Durchbruch ist gelungen! Nach verflogenem Rausch sehe ich die Mängel darin und deren Bedingungen, die mich aufreizen, sie zu überwinden um dem Eigentlichen näher zu kommen. So ging es schon durch viele Stadien des ‹Habens› und wieder ‹Lassens›. Von jung an bin ich dabei, immer wieder ein ‹neues Leben anzufangen›. Selten, aber es tritt ein, hängen die Zügel schlaffer und der Versuch, mit der Umwelt in Frieden zu leben, stilisiert meine Lebensziele auf ein verträgliches Zusammenleben hin. Dann bin ich ihnen ‹ein guter Mensch›, manche versteigen sich zu ‹weise› und ‹gütig›. Aber es braucht nur zu gehen wie dem alten Schlachtroß, das seine Ackerfurchen zieht und die Trompete hört: das Eingespanntsein ins Joch der Nützlichkeit ist zum Teufel! Die Signale kommen aus mir selbst und zur rechten Zeit. Wollte ich dann mich zwingen, weiter geduldig Furchen zu ziehen, so bekäme das Irdische plötzlich eine schrille und gellende Gewalt des Widerstands, daß mein Verhältnis zur Welt heillos ver-rückt würde. Wer an der Grenze lebt, muß seine warnenden Vorzeichen kennen. Die Gescheiten, für mich meist hoffnungslos Dumme, sagen: du übertreibst! Sie freilich hören keine solchen Signale und leben außerhalb der Gefahr des Verrücktwerdens. Normale suchen nie nach ihrem eigentlichen Wesen sondern sehen sich als das an, wofür andere sie halten.» (*1)

Thomas Ring RadixIn jungen Jahren freilich erlag Thomas Ring, der Grand Seigneur der Astrologie des deutschen Sprachraums, selbst der Gefahr, sich der Normalität anzupassen. Im August 1914 meldete er sich, mitgerissen von der Kriegsbegeisterung, freiwillig für den Militärdienst im 1. Weltkrieg. Bereits im November 1914 erlitt er eine Verletzung, die seine Höhenflüge zurechtstutzte und ihm allmählich die Augen für die Wirklichkeiten öffnete. Der AP in Konjunktion mit Saturn am Talpunkt des 4. Hauses ließ ihn unerbittlich der inneren Wahrheit des Prinzips des täuschungsfreien Realitätsbewusstseins begegnen und konnte erst so ein Leben an der Grenze Saturns ermöglichen.

Anfang der 1920er Jahre kehrte Thomas Ring aus Militärdienst und anschließender Kriegsgefangenschaft zurück nach Deutschland. Die Grenzerfahrungen im Krieg öffneten seinen Geist für neue Ideen sowohl in der Malerei, die schon in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg zu einer Leidenschaft wurde, als auch in der Astrologie. «Fünfeinhalb Jahre Krieg durchgestanden, immer draußen, wenn man sich nicht im Lazarett oder hinter Stacheldraht befand, ich mußte etwas tun. … Wer aus dem Felde kam, war bereit, alle Grundformulierungen in Frage zu stellen.»(*1)

Zunächst ging es ihm noch darum, die Astrologie als überholten Irrglauben zu entlarven. Doch es ergeht ihm wie so vielen, die nach anfänglicher Gegnerschaft die tiefe Wahrheit und den Reichtum dieser Königin aller Wissenschaften erkennen. Der Alterspunkt stand in diesen Jahren im Einzugsbereich der Kreuzungsachse (K1) der Alterspunkte des Grund- und Mondknotenhoroskops. In den Lebensphasen dieser Kreuzungsachse taucht unsere tief unbewusste Schattenpersönlichkeit besonders leicht an die Schwelle der Bewusstheit auf. Es geht darum, etwas Wesentliches zu begreifen, seine Lebensmotivation zu überdenken und möglicherweise neu auszurichten. Im Falle Thomas Rings geht es auf der Häuserachse 6/12 mit der Sonne um die existentielle Sinnfrage: Sein oder Nichtsein. Ist das Leben sinnvoll? Wie bewältigt man das Über-Leben, materiell und vor allem geistig?

Sein hoher philosphischer Anspruch (Sonne Opposition Neptun/Pluto-Konjunktion am gegenüberliegenden Kreuzungspunkt K2) an diese Studien führt im Laufe der folgenden Jahrzehnte zur Ausformulierung seiner revidierten Astrologie, zusammengefasst im vierbändigen Werk „Astrologische Menschenkunde“.

Thomas Ring war einer der ersten, wenn nicht der erste Astrologe, der sich um eine graphische Darstellung des Horoskops bemühte und hierfür Regeln formulierte. Ihm war als Maler auch die visuelle Erfassung des Geburtsbildes wichtig: «Strenge Methodik der Kombination vereint mit dem künstlerischen Blick für das Ganze.»(*1) Der Schweizer Astrologe und Maler Bruno Huber, der mit Thomas Ring den Sonnenstand auf 6° Schütze gemeinsam hat, arbeitete diese Idee weiter aus und kreierte ein Deutungssystem, das wesentlich auf der visuellen Erfassung des Aspektbildes beruht.

Horoskopdaten
28.11.1892, 17.02 GMT, Nürnberg (Grafik von Ring selbst gezeichnet)

Astrologische Menschenkunde online

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