Manchmal wird der Sanskrit-Begriff Kama mit Karma verwechselt. Es handelt sich jedoch um zwei ganz unterschiedliche Dinge. Karma bedeutet „Handlung, Aktivität“, während Kāma sich mit „Wunsch, Begierde, sinnliche Liebe“ übersetzen lässt. Fast jeder hat zum Beispiel etwas von Kamasutra gehört. Dies bedeutet übersetzt: „Verse (Sutra) des Verlangens, der Begierde (Kāma)“.
Glaubt man den alten Mythen und Schriften, so ist das Verlangen Quelle und Ursprung aller Dinge. Im griechischen Schöpfungsmythos ist Eros ein energetisierender Schöpfungsimpuls:
Früher als alles andere entstand das Chaos,
alsdann formte sich die vollbusige Gaia, eine unvergängliche Heimstätte
für die Ewigen, die auf dem schneebedeckten Olympos wohnen
und im Tartaros, dem dunkle Schoße des weitläufigen Erdreichs,
zugleich Eros, der Allerschönste unter den Unsterblichen,
der allen Menschen und Göttern süß betäubend die Sinne und den Verstand verdreht.
Hesiod, Theogonie
www.erosmythos.com
Der vedische Schöpfungsmythos erzählt:
Im Anfang war Finsternis in Finsternis versteckt […]
das Eine wurde durch die Macht eines heißen Dranges geboren. Über dieses kam am Anfang das Liebesverlangen, was des Denkens erster Same war
Rig Veda
Kāmadeva, die göttliche Personifizierung des Kāma (und die vedische Ausprägung des griechischen Eros), lässt im großen indischen Epos Mahabharata verlauten:
„Keinem Wesen ist es möglich mich zu zerstören. Ein Mensch, der meine Macht kennt, bemüht sich, mich durch das Murmeln von Gebeten zu überwinden; dann besiege ich ihn mit dem Glauben, ich sei das subjektive Ego in ihm. Wenn ein Mensch mich durch Askese überwinden will, dann erscheine ich als Askese in seinem Sinn und verhindere so, dass er mich erkennt. Und wenn ein Wissender mich um der Erlösung willen überwinden möchte, so lache ich ihm fröhlich ins Gesicht. Ich bin der Unvergängliche, den kein Wesen töten noch zerstören kann.“
Dieses Verlangen ist die Wurzel der erschaffenen Welt, und dieses Verlangen ist die Ursache für Samsara, den ewigen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt.
Im 3., 7. und 11. Haus, den drei Kāma-Häusern, geht es also um unsere Wünsche. Sie und das Streben nach Erfüllung unserer Begierden gilt in der hinduistischen Philosophie grundsätzlich nicht als unmoralisch. Im Gegenteil, es gibt eine Zeit, in der Kāma eines der vier Lebensziele des Menschen sein darf und soll, damit er eine Familie gründet und Nachkommen zeugt. Gleichzeitig ist Kāma immer dem wichtigsten Lebensziel, dem Dharma, untergeordnet. Die Erfüllung unseres Dharmas hat Priorität, danach können wir uns Artha, dem Streben nach Wohlstand, und Kāma, dem Erfüllen unserer Wünsche widmen. Am Ende steht allerdings immer Moksha, die Erlösung und Befreiung von Anhaftung. Für dieses letzte Lebensziel stellen allerdings gerade unsere Wünsche ein großes Hindernis bei der Erlangung von Moksha dar. Denn es ist Kama, unsere persönlichen Interessen und Wünsche, die unseren Geist im Sinne des „meinenden Selbst“ (Mond) unablässig beschäftigen und an die Welt binden. Im Horoskop zeigt sich dies darin, dass die Herrscher zweier Kāma-Häuser, das 3. und das 11. Haus, im Horoskop den Status eines temporären Übeltäters haben.
Die drei Kāma-Häuser
In diesen Häusern geht es um Wünsche, um Freude und Spaß und um das Bedürfnis nach sozialen Kontakten im Leben. Eine Verbindung von Kāma-Häusern mit den vier Kendras (kardinale Häuser) gibt Hinweis auf Aktivitäten, mit denen wir unsere Wünsche erfüllen möchten. In diesen Häusern geht es um Kultur, um kulturelle Aktivitäten in Kunst, Malerei, Musik, Theater, Film etc. und all die Träume und Sehnsüchte, die ein Menschen damit verbinden und zum Ausdruck bringen kann.
Im 3. Haus stehen unsere persönlichen Interessen im Vordergrund, unsere Hobbies und unsere Ambitionen sowie die Fähigkeiten und Geschicklichkeit, die wir für ihre Verwirklichung benötigen. Falls damit Ziele verbunden sind, die allein nicht zu erreichen sind oder wir unsere Interessen mit anderen gemeinsam ausüben wollen oder müssen, so finden sich diese „Gleichgesinnten“ ebenfalls im 3. Haus.
Aktivitäten rund um Partnerschaft und Begegnungen mit anderen Menschen gehören zum 7. Haus. Eine Liebesbeziehung beginnt im 7. Haus, hier reift der Wunsch, nicht allein sein zu wollen und einen Partner zu suchen. Sexualität ist eine Aktivität, mit der wir einem Menschen sehr nahe sein und unsere Wünsche nach Nähe erfüllen können – deshalb ist Sex ein Thema des 7. Hauses.
Im 11. Haus möchten wir von anderen bewundert und wertgeschätzt werden, suchen nach Unterstützung durch einflussreiche Freunde oder soziale Gruppen. Hier geht es um Gewinne, um Luxus, auch um akademische Grade und Titel, denn diese bringen unsere Wertschätzung durch die Gesellschaft zum Ausdruck. Im 11. Haus können sich unsere Wünsche und Begierden bis ins Maßlose steigern.
Jörg Immendorff
Häufig spielen die Kāma-Häuser eine bedeutsame Rolle in Horoskopen von Kunstschaffenden. Jörg Immendorff zählt zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstlern Deutschlands. Der Herrscher des 3. Hauses Venus ist gleichzeitig Herrscher des 10. Hauses, in dem diese sich auch befindet. Bereits das ist ein wichtiger Hinweis auf den Kunst-Schaffenden, dem öffentliche Anerkennung äußerst wichtig ist und auch zuteil wird. Die Anwesenheit von Rajayogakaraka Mars im 10.Haus unterstreicht den beruflichen Erfolg.
Der Herrscher des 11. Hauses befindet sich dort in seinem eigenen Zeichen, gemeinsam mit AC-Herrscher Sonne. „Wünsche werden wahr“, wenn sich ein Kāma-Herrscher in einem Kāma-Haus befindet. Man macht vergleichsweise mühelos ein Vermögen und genießt viele Vorteile durch Freunde. Merkur beherrscht gleichzeitig das 2. Haus, in dem sich Jupiter, der Herrscher von 5 befindet – ein starkes Dhana Yoga, das großen Reichtum anzeigt.
Josephine Baker
Im Horoskop der amerikanischen Tänzerin, die im Paris der 1920er Jahre große Erfolge als Revue- und erotische Burlesque-Tänzerin feierte, finden sich im 10. Haus (dem Karma Bhava „Haus der Arbeit“) im Kama-Zeichen Zwillinge der AC-Herrscher Merkur, der Herrscher von 3 Mars, und der Herrscher von 7 Jupiter.
Der Herrscher des 11. Hauses Mond befindet sich im Parivartana Yoga mit Venus, die wiederum im 11. Haus steht.
Ihren ersten Auftritt im Pariser Théâtre de Champs-Elysées hatte Josephine Baker im Jupiter/Saturn/Jupiter-Dasha, als das 7. Haus ausgelöst war. Die „schwarze Venus“ wurde zur Muse und Inspiration für viele Künstler der damaligen Zeit.
Salvador Dalí
Der exzentrische Künstler Salvador Dalí wurde mit einem Krebs-AC geboren. Lagnesh (AC-Herrscher) Mond befindet sich im 10. Haus im Nakshatra Uttara Bhadrapada, dem eine Kāma-Qualität zugeordnet wird. Der Herrscher von 10 Mars befindet sich wiederum im 11. Haus im Nakshatra Krittika, das ebenfalls Kāma zugeordnet wird. Im 11. Haus finden sich außerdem Sonne, Venus und Merkur, die beiden letzteren ebenfalls in Krittika. Merkur ist u.a. Herrscher des 3. Hauses und lässt im 11. Haus wieder Wünsche wahrwerden. Seine gleichzeitige Herrschaft über das 12. Haus dürfte den surrealistischen Grundton von Dalís Arbeiten zum Ausdruck bringen.
Das Schwergewicht von Planeten im 11. Haus bringt Ehrgeiz zum Ausdruck und das Streben nach öffentlicher/gesellschaftlicher Anerkennung. Mit sechs Jahren (Merkur/Venus-Dasha) träumt Dalí davon, Napoleon zu sein, im Ketu Maha Dasha beginnt er mit einem Opernpoem Être Dieu = „Gott sein“. Mit Beginn des Rahu Maha Dashas wurde dieses Opern-Projekt tatsächlich realisiert. Ketu befindet sich in Fische im Nakshatra Uttara Bhadrapada, dem wie bereits erwähnt Kāma-Qualitäten zugeordnet werden. Der Schattenplanet Rahu ist von Natur aus ein Horoskopfaktor mit intensiven Wünschen und starken Begierden, stets nach dem, was man nicht hat bzw. das unerreichbar fern scheint.
Aleister Crowley
Der britische Okkultist führte in vielerlei Hinsicht ein ausschweifendes Leben. In seiner Autobiographie nennt Crowley eine Geburtszeit zwischen 23 und 24 Uhr, womit sein Aszendent im Zeichen Löwe zu liegen kommt. AC-Herrscher Sonne befindet sich in der Waage gemeinsam mit der Herrscherin des 3. Hauses Venus. Der Herrscher eines Kāma-Hauses in einem Kāma-Haus lässt wieder Wünsche wahr werden. Der AC-Herrscher im 3. Haus deutet auf eine starke Wunschnatur und auf Abenteuerlust. Dass die Sonne sich in der Waage im Zeichen ihres Falls befindet (Debilitation), ist Hinweis auf geradezu unstillbare Sehn-Süchte. Venus‘ Anwesenheit im eigenen Zeichen wertet die Qualität der Sonne ein wenig auf, verleiht den vielen Unternehmungen durchaus einen gewissen Erfolg. Sowohl die Sonne als auch Venus befinden sich im Nakshatra Chitra, das Kāma zugeordnet wird. Ketus Gegenwart verleiht den Ambitionen und Interessen etwas Skurriles, Exotisches, Aufregendes – hier vor allem auch Okkultes.
Saturn als Herrscher des 7. Hauses im 7. Haus zeigt eine einflussreiche Persönlichkeit, die jedoch einige Härten im Leben durchzustehen hat. Vor allem persönliche Beziehungen und die Ehe stehen hier unter keinem guten Stern.
Das 11. Haus liegt im Zeichen Zwillinge, sein Herrscher Merkur befindet sich in einem Kendra, dem 4. Haus, gemeinsam mit Jupiter, dem Herrscher von 8, das u.a. von okkulten Erfahrungen im Leben handelt. Im 8. Haus wiederum befindet sich der Mond im Nakshatra Uttara Bhadrapada, das Kama-Qualitäten besitzt.
Crowleys „Lebensregel“ lautete: „Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.“ was mit der Idee des Begriffs Kāma im Großen und Ganzen übereinstimmt. Crowleys Lebenslauf zeigt allerdings auch die Tücken und großen Gefahren auf dem Kāma-Pfad.
Jimi Hendrix
Crowley war heroinsüchtig. Sucht ist eines der großen Schatten-Themen im Kāma-Dreieck, dem viele Künstler früh im Leben zum Opfer fallen. Der „beste Gitarrist aller Zeiten“ Jimi Hendrix hat in seinem Horoskop sämtliche Kāma-Herrscher in Kendras (kardinalen Häusern) stehen: Venus als Herrscherin von 11 in 1 – „Ziele werden erreicht, Wünsche gehen in Erfüllung, viele gute Gelegenheiten“, Saturn als Herrscher von 3 in 7 – „intensive Wunschkraft, realisierbar durch ausdauernde Anstrengung“, und Merkur als Herrscher von 7 wiederum in 1 – „erfolgreich, viele Wünsche und Leidenschaften, die sich erfüllen“.
Allerdings stehen Merkur und Venus der Sonne sehr nahe, sie werden von ihren Strahlen verbrannt, werden geblendet und verlieren den Überblick. Der Aszendent, das astrologische Symbol für den Körper, befindet sich im Nakshatra Mula, das einerseits Kāma-Qualitäten besitzt und gleichzeitig intensive zerstörerische Kräfte entfalten kann. Jimi Hendrix veröffentlichte im Merkur/Saturn-Dasha seine erste Langspielplatte „Are You Experienced“, die noch heute Rang 15 der „Greatest Albums of all Times“ einnimmt. Im folgenden Ketu Maha Dasha nimmt allerdings der Drogenkonsum überhand. Hendrix stirbt am 18. September 1970 nur wenige Tage nach Beginn des Rahu Bhuktis im Ketu Maha Dasha (Ke/Ra).
Kurt Cobain
Ein weiteres Mitglied im Klub 27 neben Jimi Hendrix ist der Musiker Kurt Cobain. Aus Sicht der Kāma-Häuser hat er ein bemerkenswertes Horoskop: Mars ist Herrscher von 3 und steht gemeinsam mit Ketu im 3. Haus im Skorpion. Der Mond ist Herrscher von 11 und steht im 11. Haus gemeinsam mit Jupiter, dem Herrscher des 4. Hauses und des 7. Hauses. Cobain hat sicher wie viele junge Menschen den großen Traum von Berühmtheit und einer großen Musikkarriere gehabt – der sich mit der Band Nirvana auch tatsächlich erfüllen sollte. Starke Kāma-Herrscher in Kāma-Häusern lassen Wünsche eben wahr werden.
Allerdings kam Kurt Cobain mit dem Ruhm offenbar nicht zurecht, litt unter Depressionen, nahm Drogen und begeht mit 27 Jahren im Saturn/Jupiter/Mond-Dasha Suizid. Vielleicht kam es zu dieser Katastrophe, weil er in seinem Leben weniger in Kontakt zu seinem Dharma als zur intensiven Kāma-Energie stand. Die Dharma-Herrscher des 1., 5. und 9. Hauses – Merkur, Saturn und Venus – stehen gemeinsam im Zeichen Fische im 7. Haus. Ihr gemeinsamer Dispositor ist ein außerordentlicher starker Jupiter im Krebs im 11. Haus, gemeinsam mit Mond, dem Herrscher des 11. Hauses. Zudem liegen Venus und Saturn im Nakshatra Uttara Bhadrapada, das Kāma zugeordnet wird. Am Ende der Dispositorenkette hat Kāma das letzte Wort, erkennbar am Mond Pratyantar-Dasha, das zum Zeitpunkt seines Todes lief.
Helmut Kohl
Große Erwartungen und intensive Wünsche hegen allerdings nicht nur Künstler. Auch Politiker gehören in der Regel dazu. Sie suchen den Spaß in der gesellschaftlichen Anerkennung, die Titel und Ämter mit sich bringen können. Ein Paradebeispiel ist Helmut Kohl. Das 3. Haus liegt in Zwillinge, Herrscher Merkur steht im 1. Haus. Im 3. Haus befinden sich der Mond als Kendra-Herrscher (4. Haus) und Dharma-Herrscher Jupiter (9. Haus). Hier zeigt sich bereits der Ehrgeiz, in erster Linie durch Worte und eine eher opportunistische Vorgehensweise die persönlichen Interessen und Ambitionen zu verfolgen. Der Herrscher des 7. Hauses Venus befindet sich ebenfalls im 1. Haus und betont die Bedeutsamkeit von Partnerschaften bei der Erfüllung der persönlichen Wünsche.
Der Herrscher des 11. Hauses schließlich ist Saturn, der sich im 10. Haus im eigenen Zeichen Steinbock befindet. Das Saturn Maha Dasha erfüllte schließlich den ganz großen Wunsch der Kanzlerschaft und ermöglichte ihm drei Legislaturperioden als Bundeskanzler. Dass Kohl vier Mal gewählt wurde, lag an der günstigen Positon der Dasha-Planeten: 1983 unter Saturn/Saturn konnte sich Saturn noch ungestört entfalten, 1987 unter Saturn/Venus half ihm das 4/10 Verhältnis der beiden Planeten im Horoskop (Saturn steht im 10. Haus von Venus gerechnet und Venus im 4. Haus von Saturn), das sich bei der Wahl 1990 unter Saturn/Sonne wiederholte. 1994 befand sich Helmut Kohl in einem Saturn/Rahu-Dasha, die sich beide in einem 5/9 Verhältnis befinden, das ebenfalls positiv ist. Zusätzlich kann man bei den Mondknoten dessen jeweiligen Dispositor in die Betrachtung einbeziehen, der hier mit Venus wieder eine 4/10-Beziehung anzeigt. Die Wahl 1998 unter Saturn/Jupiter konnte Kohl dann nicht mehr für sich entscheiden. Deren 6/8-Beziehung ließ eine Krise, einen Wechsel und ein Wandlungsthema annehmen, und tatsächlich unterlag Helmut Kohl damals seinem Herausforderer Gerhard Schröder.
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