Varshaphala (Solarhoroskop): siderisch oder tropisch?

29. Dez 2011 – 08:25:10

Das Varshaphala ist ein Horoskop, das für die jährliche Wiederkehr der Sonne auf ihre exakte Geburtsposition berechnet wird. In der westlichen, abendländischen Astrologie bezeichnen wir dies als „Solarhoroskop”. In Indien wird diese Astrologie-Methode „Tajika” genannt. Tajika deutet an, dass die Ursprünge des Varshaphala ungefähr in der Gegend des heutigen Tadschikistan liegen, das vor einem Jahrtausend Heimat einiger Größen der arabischen Astrologie war (z. B. al-Biruni). Vor über zweitausend Jahren gehörte es zum altpersischen Reich. Tadschik bedeutet „‚Perser Zentralasiens‘, im Osten“. Varshaphala ist folglich eine Technik der (alt-)persischen Astrologie, deren Ursprünge wiederum im babylonischen und sumerischen Reich liegen dürften.

Es gibt drei Möglichkeiten, ein Varshaphala zu berechnen:

a) die Wiederkehr der Sonne auf ihre tropische Geburtsposition
b) die Wiederkehr der Sonne auf ihre siderische Geburtsposition
c) die Wiederkehr der Sonne auf ihre tropische Geburtsposition, die dann siderisch umgerechnet wird.

Alle drei Varianten führen zu unterschiedlichen Horoskopen.

Im Jahreshoroskop Varshaphala spielen drei Deutungsfaktoren eine Hauptrolle:

1) der Muntha, der progressive Radix-Aszendent (Progressionsfaktor: ein Zeichen pro Jahr) und sein Zeichenherrscher
2) der Varsheshwara oder Varsha Pati (Jahresherrscher)
3) der Varshaphala Lagna und Lagnesh (Solaraszendent und -herrscher)

Außerdem spielen Sahams, das sind die sensitiven arabischen Punkte, eine wichtige Rolle.

Um festzustellen, welche der drei Möglichkeiten der Varshaphala-Berechnung zu den besten Resultaten führt, habe ich u.a. das Varshaphala des britischen Prinzen William für das Jahr 2010/2011 seiner Heirat untersucht.

Zunächst die tropische Berechnungsweise, wie sie heute in der abendländischen Astrologie üblich ist. Das Varshaphala wird für die Wiederkehr auf ihre tropische Geburtsposition berechnet. Ich wende auf dieses tropische Varshaphala die indischen Deutungsregeln der Tajika Astrologie an.

Varshaphala tropisch

Varshaphala tropisch

Der Muntha liegt im Zeichen Widder im 7. Haus. Betont ist das Thema Partnerschaft. Muntha-Herrscher Mars befindet sich mit Saturn und dem sensitiven Punkt für Heirat („Vivaha“) in Jungfrau im 12. Haus.

Varsha Pati (Jahresherrscher) ist Merkur im 9. Haus, das in Indien traditionell mit Eheschließungen in Zusammenhang steht.

Der Varsha Lagna (Solar-Aszendent) liegt im Zeichen Waage, seine Herrscherin Venus steht in Löwe im 11. Haus. Varsha Lagnesh Venus ist Karaka (Signifikator) für Ehe, Partnerschaft und im Horoskop eines Mannes für die Ehefrau.

Diese drei Hauptakteure betonen jeweils das Thema Partnerschaft und lassen vermuten, dass es in diesem Lebensbereich zu wichtigen Ereignissen im Laufe des Solarjahres kommen wird.

Der Muntha-Herrscher Mars steht in Konjunktion mit dem Saham „Vivaha“ (Eheschließung). Varsha Lagnesh Venus bildet mit Mars ein neutrales Purna Itthasala Yoga und betont die Bedeutsamkeit des Muntha-Herrschers in Bezug auf eine Heirat. Bei der Eheschließung sollte Mars entsprechend ausgelöst sein. Jahresherrscher Merkur steht noch knapp in einem Isharapha Yoga mit Mars und einem Vartamana Itthasala Yoga mit Saturn, der durch seine Anwesenheit im Zeichen des Sahams Vivaha ebenfalls mit der Hochzeit zu tun haben müsste.

Die Eheschließung fand tatsächlich im Saturn/Mars Patyayini Dasha statt. Die offizielle Verlobung Mitte November 2010 geschah während des Merkur Dashas, den Heiratsantrag machte Prinz William im Oktober 2010 während des Venus Dashas. Im September 2010 lief das Mars Patyayini Dasha. Wenn man der Presse glauben darf, überlegte sich der Prinz in den Wochen vor seinem Heiratsantrag, wie er beim Antrag am besten vorgehen könnte. Diese gedankliche Vorbereitungszeit war vermutlich im September 2010 während der Mars-Phase.

Die Patyayini Dashas passen geradezu perfekt in diesem Varshaphala.

Heutzutage werden Varshaphalas in Indien allerdings siderisch berechnet. Die Wiederkehr der Sonne auf ihre siderische Position weicht aufgrund der Präzession mit zunehmendem Alter (weil zunehmender Präzession) erheblich von tropisch berechneten Solaren ab.

Varshaphala siderisch

Varshaphala siderisch

Der Muntha ist weiterhin im Zeichen Widder, hier im 2. Haus. Muntha-Herrscher Mars steht in der Jungfrau im 6. Haus. Jahres- und Solar-AC-Herrscher ist Jupiter im 1. Haus. Der sensitive Punkt für Eheschließung (Saham „Vivaha“) liegt in Steinbock im 11. Haus, sein Dispositor Saturn steht im 7. Haus. Allerdings wird dieser Saham durch keinen der wichtigen Varshaphala-Planeten (Mars oder Jupiter) betont.

Mars bildet mit Jupiter ein neutrales Isharapha Yoga und steht mit Ereignissen in Zusammenhang, deren Ursachen in der Zeit vor Beginn des Solarjahres liegen. Jupiter steht in einem feindlichen Isharapha Yoga mit Saturn. In diesem Varshaphala kann man im Grunde nur mit viel Phantasie auf eine Heirat schließen. Das bei der Eheschließung aktive Dasha Merkur/Sonne löst Planeten aus, die nicht mit den Hauptakteuren des Solares in direktem Zusammenhang stehen.

Ein dritte Möglichkeit, das Varshaphala zu berechnen, ist die Umwandlung des tropischen Varshaphalas (erste Variante) mit einem Ayanamsha in ein siderisches Horoskop.

Varshaphala tropisch-siderisch

Varshaphala tropisch-siderisch

In diesem Varshaphala ist Merkur Varsha Lagnesh (Herrscher des Solar-Aszendenten) und Varsha Pati (Jahresherrscher) und steht im 9. Haus. Der Muntha befindet sich wieder in Widder, dieses Mal im 8. Haus. Sein Herrscher Mars steht in Löwe im 12. Haus, gemeinsam mit dem Saham „Vivaha“, der sensitive Punkt für Heirat.

Merkur bildet mit Mars ein sehr knappes Isharapha Yoga. In der abendländischen Astrologie ist dies ein separativer Aspekt. Es wäre im Merkur/Mars oder Mars/Merkur Dasha mit einer Heirat zu rechnen, auch wenn weder Merkur noch Mars direkt auf eine Heirat schließen lassen. Die Hochzeit fand unter dem Patyayini Dasha Merkur/Mond statt.

Die erste Berechnungsvariante, also das rein tropisch berechnete Varshaphala, wie es auch in der abendländischen Astrologie üblich ist, führt bei Anwendung der klassischen indischen Tajika-Regeln zu verblüffend stimmigen Ergebnissen, insbesondere bei der Anwendung des Patyayini Dashas. Das rein siderische Varshaphala, wie es heute in Indien üblicherweise erstellt wird (Variante 2), führt zu den schlechtesten Deutungsergebnissen. Die dritte Variante – das tropisch berechnete Varshaphala mit einem Ayanamsha siderisch umgerechnet – ist der rein siderischen Variante zwar überlegen, überzeugt mich aber nicht so sehr wie die rein tropische Berechnung.

In den letzten Wochen habe ich weitere Varshaphalas auf diese Weise untersucht und bin zur Überzeugung gelangt, dass man mit tropisch berechneten und „indisch“ gedeuteten Varshaphalas zu den besten – und erstaunlichsten – Ergebnissen kommen kann.

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