Albert Camus

Ein Philosoph und Literat des Absurden ist für die Astrologie sicher eine große Herausforderung, denn in der Astrologie geht es um den in den Sternen (Astro) liegenden Sinn (Logos). Das Absurde ist jedoch der Aber- und Irrwitz des Lebens, die von jedem tagtäglich gemachte Erfahrung, dass das Leben und seine Ereignisse keinen Sinn zu haben scheinen und der „liebe Gott“ einen an der Waffel haben muss, seine irrsinnige Schöpfung auch noch für gut zu befinden.

In Indien hat das Absurde einen anderen Namen: Karma. Was geschieht, sei die Folge früheren Denkens und Handelns des Menschen – an das wir uns heute allerdings nicht mehr erinnern können. Deshalb erscheinen uns Schicksalsschläge als vollkommen sinnlos und willkürlich, und manchereiner sucht nach sinnvollen Antworten zum Beispiel in der Religion, in der Philosophie – oder in der Astrologie. Denn der Mensch ist bestrebt, einen Sinn in allem zu erkennen, und sei es, dass das Leben keinen Sinn macht. Auch das ist eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Christen bemühen die „unerforschlichen Wege Gottes“, dass es also keinen Sinn macht, über deren Sinn nachzusinnen, der Mensch versteht sie am Ende doch nicht. Und die Philosophie findet soviele Antworten wie es nach Antworten suchende Philosophen gibt.

Mit meinem Aszendenten im Zeichen Zwillinge fand ich das schon immer ein großes Dilemma und suchte u.a. nach Antworten bei Jean-Paul Sartre und Albert Camus, der Lektüre meiner späten Teenager-Jahre. Das war, bevor ich mich der Astrologie zuwandte, die ich anfangs nur studierte, um ihre Sinnlosigkeit zu beweisen – woran ich kläglich scheiterte, denn da steckte augenscheinlich ein Sinn dahinter, wenn die Planeten ihren Tanz am Himmel den Ereignissen auf der Erde lehrbuchgemäß anzupassen schienen, den ich mir nicht erklären konnte. Aber er schien da zu sein.

Nun, Albert Camus, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre, beschäftigte sich offenbar nicht mit Astrologie. Vielleicht hätte er dort Antworten gefunden.

 

Rashi D1 tropisch

Rashi D1 tropisch

In der indischen Astrologie wird die Sinnfrage dem Planeten Jupiter, dem Zeichen Schütze und dem 9. Haus zugeordnet. Im Rashi D1 steht Jupiter im Steinbock, dem Zeichen seines Falls, seiner größtmöglichen Schwächung.

Shad BalaDie Shad Bala Auswertung (sechsfache Stärke) gibt Jupiter eine weit unterdurchnittliche Punktzahl, was bedeutet, dass Jupiter in den von ihm regierten Lebensbereichen kaum in der Lage ist, positive Resultate zu erzielen, zum Beispiel, im Leben an sich einen Sinn zu erkennen. Jupiter steht im 5. Rashi, in dem es um das Purva Punya geht, das (positive) karmische Guthaben aus früheren Leben, das unserem heutigen Leben Glück und Sinn verleihen kann. Immerhin ist das 5. Haus/Zeichen ein Dharma-Faktor im Horoskop. Ausgerechnet Jupiter hier in schlechter Würde zu haben deutet auf einen Mangel hin, Glück und Sinn im Leben an sich empfinden zu können, zumal Jupiter bei einem Jungfrau-Aszendenten Herrscher des 4. Hauses ist, in dem es um die Fähigkeit zu innerer Zufriedenheit und dem Empfinden von Glück geht. Gleichzeitig herrscht Jupiter über das 7. Rashi, woraus wir schließen können, dass Camus auch in Beziehungen nicht das erhoffte Glück und damit Sinn im Leben finden konnte. Es verwundert daher den Astrologen nicht, dass Camus das Leben und die Welt absurd erschien, ohne Hoffnung auf Sinn. Doch gerade, dass ich dies in Camus’ Horoskop erkennen kann zeigt zumindest mir, dass es eben doch einen Sinn im Leben gibt, dass das Leben des Menschen nicht absurd ist, sondern nur erscheint.

RadixDas MC, der Individual-Punkt, steht in Camus’ Radix in der Halbsumme Saturn/Pluto, in der sich die Gegensätze von Geist (Pluto) und Materie (Saturn) aneinander reiben. Das Medium Coeli ist der Punkt der bewussten Individualität, deren Bedürfnis es ist, sich vom Kollektiv am IC abzuheben. Individualität betont die Einzigartigkeit des Menschen, er strebt hier geistige Unterscheidbarkeit an – bei Camus über den Gegensatz von Geist (= Sinn) und Materie (= Un-Sinn oder Absurdität), wobei Saturn, die Absurdität der Materie, gewinnt. Gewänne Pluto, ein geistiges Prinzip, käme dies gemäß Camus einem „irrationalen Sprung“ gleich, einer Flucht. Für Camus wird dies zur Schicksalsfrage, denn auf der Individualachse IC/MC befindet sich auch die Achse der Kreuzungspunkte, die stets schicksalhaften Charakter entfalten.

Camus glaubte nicht an Gott, auch nicht an Transzendenz. Das Leben ist für ihn sinnlos, und die Suche des Menschen nach Sinn in seiner Existenz bildet einen unlösbaren Widerspruch. Doch seltsamerweise lässt ihn diese Unlösbarkeit nicht resignieren, sondern er nimmt Zuflucht zum Kampf. Seine Maxime war: Leben heißt handeln!

Mondknotenhoroskop

Mondknotenhoroskop

Dieser „Sprung“ wird für mich aus der Radix erst nachvollziehbar, wenn das Mondknotenhoroskop in die Betrachtung einbezogen wird. Dort wiederholt sich das Saturn/Pluto-Thema, denn auch das Mondknoten-MC liegt in dieser Halbsumme. Der Radix-Pluto klickt mit dem Mondknoten-Saturn, und der Radix-Saturn  mit dem Mondknoten-Pluto, was das Gegensatz-Thema Geist/Materie und deren Absurdität nochmals unterstreicht. Im Karma-Klick, bei dem das Mondknoten-Horoskop auf die Radix gelegt und auch Zwischenaspekte eingezeichnet werden, fällt nun auf, dass das Galaktische Zentrum (GZ) gegenüber der Saturn/Pluto-Halbsumme am IC steht, dem Kollektiv-Punkt, und sowohl der Mondknoten- wie auch der Radix-Mars einen Quincunx-Aspekt zum Galaktischen Zentrum bildet, von dort also die Information (grüner Aspekt) erhält, und in Quadraten zu den Mond/Venus-Klicks in die Handlung geht. Der Impuls zur Handlung kommt aus der zentralen geistigen Ebene (das GZ) und nicht aus der Sphäre des Egos. Dies lehrt auch die vedische Philosophie in der Bhagavad Gita: das Ego hält sich zwar für den Handelnden, doch tatsächlich sind die Gunas, aus denen die Urmaterie Prakriti besteht, die Handelnden. Der Mensch ist Purusha, das beobachtende Selbst.

Karma-Klick

Karma-Klick

Die Revolte gegen die Absurdität als Lösungsversuch

Aus dem Essay Der Mythos des Sisyphos von Albert Camus ergeben sich drei Schritte im Umgang mit dem Absurditäts-Dilemma:

1. Erkenntnis der Absurdität
2. Annahme der Absurdität
3. die Revolte gegen das Absurde

In der Auflehnung gegen das Absurde, als Folge des Annehmens, kann der Mensch sich selbst verwirklichen und zur Freiheit finden. Die Lösung des Absurditäts-Dilemmas liegt nicht in der Resignation gegenüber dem Absurden, sondern im Kampf dagegen, in der Handlung.

Der absurde Mensch – eine Teilpersönlichkeit?

Der Kenner der Psychosynthese wird sofort an die ersten drei Stufen der Arbeit mit Teilpersönlichkeiten erinnert:

1. Erkennen der Teilpersönlichkeit
2. Annehmen der Teilpersönlichkeit
3. Koordination und Transformation der Teilpersönlichkeit

denen sich zwei weitere wichtige Schritte anschließen

4. Integration der Teilpersönlichkeit
5. Synthese

Teilpersönlichkeiten sind vergangene Muster des Verhaltens, Denkens und Fühlens, die eine feste Struktur in der Persönlichkeit bilden. Es handelt sich um „Vergangenheitsstrukturen“, die sich aus unbefriedigten Bedürfnissen in der Kindheit entwickeln. Ein Kind erlebt zum Beispiel einen Mangel an Liebe und entwickelt ein Verhalten, mit dem es glaubt, Liebe zu bekommen. Mit der Zeit kristallisiert sich dieses Verhalten zu einer Teilpersönlichkeit aus.

Albert Camus besaß offenbar eine Teilpersönlichkeit „der absurde Mensch“, deren Ursprünge bereits in die Kindheit zurückreichen und die einen derart großen Raum in seinem Bewusstsein eingenommen haben dürfte, dass er glaubte, er sei diese Teilpersönlichkeit – und sonst nichts. Doch eine Teilpersönlichkeit hat man, man ist sie nicht. So wie der Mensch einen Körper hat, aber nicht nur über diesen Körper definiert werden kann. Das eigentliche Sein ist mehr.

Ein Teil von mir erlebt die Absurdität des Lebens, seine Sinnlosigkeit, seinen Aberwitz. Doch ist dies nur ein Teil, denn ich kann auch andere Sichtweisen einnehmen, andere Rollen spielen – sobald ich mich nicht mehr mit der Absurdität identifiziere. Dies ist der erste Schritt des Erkennens, der voraussetzt, eine Distanz herstellen zu können zwischen sich als Erlebendem und Beobachter und der Rolle, die eine Teilpersönlichkeit spielt. Camus hat sich jedoch mit der Absurdität seines Egos identifiziert. Denn das Ego, das als Selbst erscheinen will, es aber nicht ist, ist das Absurde. Sobald man dies erkannt hat, geht es zunächst einmal darum, diesen Irrtum anzuerkennen, zu akzeptieren, dass man dieser Illusion anhängt, was im Grunde bedeutet, dass man beides ist: der Beobachter und Erlebende, und das Objekt, mit dem er sich vorübergehend identifiziert. Und dann kann man mit dieser Dualität experimentieren, spielen, neue Möglichkeiten ausprobieren. Eine davon mag die Revolte sein, es gibt jedoch noch viele andere Möglichkeiten, andere Perspektiven, die der innere Beobachter einnehmen kann. Das ist die Freiheit.

Je mehr wir mit diesen unterschiedlichen Perspektiven und Facetten experimentieren, sie zulassen, wieder verwerfen, neue Möglichkeiten ausprobieren, verändern wir diesen Teil von  uns. Es beginnt ein Transformationsprozess, dessen Ziel es ist, diesen Teil, die Absurdität unseres Daseins, in das größere Ganze unserer Existenz, unseres wahren („schauenden“) Selbst zu integrieren. Das konflikthafte Entweder-Oder der Dualitäten kann sich dann auflösen im harmonisierenden Sowohl-als-Auch: Unsere Existenz ist absurd, und sie ist sinnvoll.

AP-Biographie 5. Haus

AP-Biographie 5. Haus

In gewisser Weise impliziert dies auch Camus’ Lösungsansatz, die Revolte gegen das Absurde, der Kampf für humane Werte. Hier zieht er den Vergleich zum Sisyphos-Mythos, dessen ewiges den Stein den Berg Hinaufrollen sinnlos erscheint, und dennoch findet Sisyphos im Annehmen dieser Arbeit Selbstverwirklichung und sogar Freiheit – aus der Sicht von Albert Camus. Der Essay wurde im Winter 1941/42 fertiggestellt, als der Radix-AP im Quadrat zur Sonne und der Mondknoten-AP im Quadrat zu Uranus standen. Bei Veröffentlichung standen der Radix-AP im Trigon zu Saturn und der Mondknoten-AP im Trigon zu Pluto.

AP-Biographie 8. Haus

AP-Biographie 8. Haus

Als Camus 18 Jahre später der Nobelpreis für Literatur „Für seine bedeutungsvolle Verfasserschaft, die mit scharfsichtigem Ernst menschliche Gewissensprobleme in unserer Zeit beleuchtet“ verliehen wird, stand der Radix-AP im Quadrat zu Uranus und der Mondknoten-AP im Quadrat zur Sonne.

Der „absurde“ Tod

Alterspunkt TodSonne und Uranus spielen auch beim Tod eine Rolle. Camus verunglückt am 4. Januar 1960 gegen 13.55 Uhr in der Nähe von Villeblevin tödlich. Für die Fahrt nach Paris besaß er bereits eine Zugfahrkarte, ließ sich jedoch vom Neffen seines Verlegers Gallimard zur Mitfahrt im Auto überreden. Die Absurdität des Lebens verfolgt ihn scheinbar bis in den Tod. Der Radix-AP stand in Opposition zur Sonne, der Mondknoten-AP in Opposition zu Uranus.

 

Saturn und Mondknoten Saturn

MondknotenSowohl Saturn als auch dem Mondknoten wohnt ein Aspekt der Trennung inne, zum Beispiel im Tode die Trennung des Selbst vom Körper, dem Fahrzeug seiner Reise durch das Leben.

Aus Sicht der indischen Astrologie steht Saturn für das Gewahrsein der Trennung zwischen persönlichem und universellem Bewusstsein, d.h. der Trennung zwischen dem persönlichen Ego und dem göttlichen Bewusstsein (Atman), der eigentlichen Ursache der Melancholie Saturns. Rahu, der aufsteigende Mondknoten, funktioniert aus Sicht der indischen Goldener SchnittAstrologie wie Saturn, denn auch Rahu macht die Trennung zwischen Ego und höherem Selbst schmerzlich bewusst und er ruht nicht, Wege zur Rückverbindung mit dem Selbst zu finden. Saturn und der Nordknoten sind somit Ausdruck der Trennung und des Ausgestoßenseins des menschlichen Bewusstseins in eine absurd erscheinende Welt.

Alterspunkt Tod Goldener SchnittTeilt man im Horoskop von Albert Camus die Strecke zwischen der Mondknoten- und der Saturnposition im Tierkreis im Maß des Goldenen Schnitts auf, befand sich der Radix-AP exakt am „Talpunkt“ der Strecke Mondknoten/Saturn¹. Der Radix-AP befand sich auf 14°44’ Stier.

Kosmische Harmonien zum Zeitpunkt des Todes mögen manchen absurd erscheinen, doch für andere lassen sie in Leben und Sterben einen tieferen Sinn aufscheinen.

¹ Wer sich für die Rechenformel interessiert:
Distanz der Mondknoten-Position 22°54’ Fische zur Saturn-Position 16°58’ Zwillinge = 84°04’ x Goldschnitt-Wert 0.618034 = 51°57’ addiert zur Mondknoten-Positon ergibt 14°51’ Stier.

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