Schon die Sumerer und Babylonier maßen dem Himmelsäquator besondere Bedeutung bei. Sie teilten den Himmel in drei Wege ein, die Sonne, Mond und die Planeten durchlaufen: Der Weg des Anu ist die Region nahe dem Himmelsäquator, rund 17° südlich davon beginnt der Weg des Ea, und 17° nördlich des Himmelsäquators der Weg des Enlil. Die Sonne befindet sich in jedem dieser Abschnitte drei Monate lang.
Zur Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleichen auf 0° Widder befindet sie sich auf dem Himmelsäquator im Reich des Anu und betritt die Nordhälfte der Himmelskugel. Sobald sie die Mitte des nächstfolgenden fixen Zeichens Stier erreicht, wechselt sie in das Reich des Enlil, wo zur Sommer-Sonnenwende auf 0° Krebs der Höhepunkt dieses Wegabschnitts erreicht wird. Hier wechselt die Sonne die Richtung, um fortan südwärts zu wandern. Auf 15° Löwe verlässt sie den Weg des Enlil und wandert wieder durch das Reich des Anu. Zum Herbstäquinoktium auf 0° Waage überquert sie ein zweites Mal den Himmelsäquator und wechselt von der Nordhälfte zur Südhälfte. Sobald sie die Mitte des Zeichens Skorpion erreicht, befindet sie sich auf dem Weg des Ea, den sie auf 15° Wassermann wieder verlassen wird. Zuvor erreicht sie auf 0° Steinbock den südlichsten Punkt, die Winter-Sonnenwende, von wo sie fortan wieder nordwärts wandert.
Am 23. September überquert die Sonne wieder den Himmelsäquator und tritt in das Tierkreiszeichen Waage ein. Die Waage ist der Gleichgewichtspunkt zwischen den Polaritäten, zwischen Norden und Süden, zwischen Licht und Dunkelheit.
Es ist ein Zeichen des Ausgleichens, des sorgfältigen Abwägens der Werte; hier erreicht der Mensch das rechte Gleichgewicht zwischen den Gegensatzpaaren. Dies ist der schmale, messerscharfe Pfad, der zwischen den Gegensatzpaaren verläuft und der – wenn man ihn gefahrlos begehen will – erfordert, dass man ein Gefühl für Werte entwickelt und imstande ist, die ausgleichende, analytische Fähigkeit des Denkvermögens richtig zu nutzen.
Alice Bailey: Esoterische Astrologie
Waage gehört zu den Luftzeichen und steht in direkter Verbindung mit den anderen beiden Luftzeichen:
Diese drei Zeichen sind vor allem Zeichen für das Denken Gottes, insoweit es sich durch den Menschen zum Ausdruck bringt; das niedere Denken herrscht zuerst; es bringt die Erkenntnis des Selbst und des Nicht-Selbst oder die wesensmäßige Dualität, die aller Manifestation zugrunde liegt; das höhere Denken jedoch nimmt stetig an Macht und Herrschaft zu und bringt den Ausgleich der Gegensatzpaare durch die Erleuchtung, die es dem niederen Denken übermittelt; dann wird schließlich die Seele, der ewige Sohn des Denkens, zur letzten, höchsten Synthese, indem er das universale Denken konzentriert und mit den beiden niederen Aspekten des göttlichen Denkens verbindet.
Alice Bailey: Esoterische Astrologie
Der esoterische Saatgedanke lautet:
Ich wähle den Weg, der zwischen den beiden
großen Kraftlinien hindurchführt.
Die esoterischen Saatgedanken sind Worte, die die Seele (das Höhere Selbst) spricht. In Zwillinge erkennt sie das Ich (das „Niedere Selbst“), in der Waage wählt sie den Weg zwischen diesen beiden Polen, um im Wassermann Erleuchtung zu finden, die Synthese von Ich und Seele.
Bhagavad Gita
Im 8. Kapitel der Bhagavad Gita stellt Krishna einen Zusammenhang her zwischen dem jährlichen Lauf der Sonne und der endgültigen Befreiung eines Yogis aus dem Kreislauf der Wiedergeburten:
Zu welchem Zeitpunkt gestorbene Yogis zur Nichtwiederkehr oder Wiederkehr gehen, diesen Zeitpunkt werde ich dir sagen, Arjuna. (8:23)
Feuer, Licht, Tag, zunehmender Mond, die sechs Monate, wenn die Sonne nordwärts wandert: – brahmankundige Menschen, die dann sterben, gehen zu Brahman. (8:24)
Dunst, Nacht, ebenso abnehmender Mond, die sechs Monate, wenn die Sonne südwärts wandert: – dann erlangt der Yogi das Mondlicht und kehrt zurück. (8:25)
Diese beiden Wege, der helle und der dunkle, werden für Lebewesen als immerwährend angesehen. Auf dem einen gelangt man zur Nichtwiederkehr, auf dem anderen kehrt man wieder zurück. (8:26)
Kein Yogi, der diese beiden Wege kennt, ist verwirrt. Deshalb sei zu allen Zeiten yogaverbunden, Arjuna. (8:27)
Bhagavad Gita
Ab der Wintersonnenwende (0° Steinbock) wandert die Sonne nordwärts (der helle Weg). Die Sommersonnenwende (0° Krebs) ist Startpunkt für den dunklen Weg, auf dem die Sonne wieder südwärts wandert. Wir erkennen dies an der Tageslänge: ab der Winter-Sonnenwende werden die Tage länger, das Licht nimmt zu, während nach der Sommer-Sonnenwende die Tage kürzer werden und das Tageslicht abnimmt. An den Äquinoktien sind Tag und Nacht gleich lang. Die Sonne passiert den Himmelsäquator, um im Frühling entweder auf die nördliche oder im Herbst auf die südliche Hälfte der Himmelskugel zu wechseln.
Es wäre jedoch absurd, Moksha mit der Jahres- oder Tageszeit des individuellen Todesmomentes in Verbindung zu bringen. Paramhansa Yogananda bringt die sechs Monate mit den sieben Chakren des menschlichen Körpers in Zusammenhang:
Diese geheimnisvollen Verse, die bedauerlicherweise von fast allen Kommentatoren falsch gedeutet worden sind, enthalten in Wirklichkeit Hinweise auf die Yoga-Wissenschaft. Sie beschreiben das Öffnen des geistigen Auges, das Erwecken der zerebrospinalen Zentren und den durch diese Zentren führenden Aufstieg der Lebenskraft und des Bewusstseins zum Kosmischen Bewusstsein – zur Befreiung des Yogis, der dem „Weg des Lichts“ folgt und zum Geist gelangt. Und im Gegensatz hierzu beschreiben sie auch den Abstieg oder die Wiederkehr zum Körperbewusstsein, das heißt die Wiedergeburt jener, die nicht fähig sind, die zerebrospinalen Tore, die letztendlich zum Geist führen, vollkommen zu öffnen.
Paramahansa Yogananda: Die Bhagavad-Gita
Die Achse Krebs/Steinbock kann deshalb auch als die „Licht-Achse“ bezeichnet werden, die im Zeichen Waage ihren Gleichgewichtspunkt findet.
Lese-Tipp:
Kundalini im Horoskop: Chakren-Achse = Welt-Achse