Saturn/Neptun-Zyklus und demokratischer Sozialismus
Kevin Kühnert ist für eine prominente Rolle innerhalb der SPD vielleicht noch zu jung. Im November wird sein Orts-Alterspunkt die Opposition zur Sonne erreichen und Anfang nächstes Jahr die Saturn/Neptun-Konjunktion überlaufen. Vielleicht forciert er in dieser Zeit die innere Neuorientierung der Partei, die im lauten Streit unter Schwestern in Vergessenheit geraten scheint. Vielleicht braucht die SPD auch einen Anstoß von außen, um ihrem sozialdemokratischen Profil neue Konturen zu geben.
Die Ortsqualität der Bundeshauptstadt
Inzwischen hat der Alterspunkt in Kühnerts Berliner Ortshoroskop die Saturn/Neptun-Konjunktion im Stressbereich der 6. Orts-Häuserspitze überlaufen. Gleichzeitig erreichte im Januar der laufende Saturn in Steinbock das erste Sextil zu Neptun in den Fischen. Die Forderungen des Juso-Vorsitzenden, die am 1. Mai, dem wichtigsten Feiertag des Sozialismus, um 15:32 Uhr auf ZEIT ONLINE veröffentlicht wurden, stehen sicher unter dem Eindruck dieser Konstellation. In Berlin erregen sie großen Unmut und schnell ist eine Debatte über demokratischen Sozialismus entfacht. In Hamburg, dem Sitz der Zeitung, und in der Bundeshauptstadt stehen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Neptun am Deszendenten und Mars am MC, die mit der Saturn/Pluto-Konjunktion ein großes Lerndreieck bilden.
Die Langsamläufer Saturn und Neptun bilden den größten vorstellbaren Gegensatz: Saturn symbolisiert die stoffliche Materie, deren Struktur und Form sowie die Grenze zu anderen Formen. Diese Klarheit bietet Sicherheit und Verlässlichkeit. Neptun steht dagegen für ein alldurchdringendes Prinzip, für die Auflösung der Form und die Durchlässigkeit ihrer Grenzen. Er symbolisiert damit Grenzenlosigkeit und Allgegenwärtigkeit schlechthin, was aus der Perspektive des nüchternen Saturn eine grundlegende Verunsicherung bedeutet, die bei Saturn Ängste und Phobien auslösen kann.
Als Saturn und Neptun im Jahr 1989 das letzte Mal in Konjunktion standen, wurde die Welt Zeuge, wie eine jahrzehntelang unüberwindbar scheinende Grenze (Saturn) sich in einer Nacht gewaltfrei auflösen (Neptun) konnte. Kevin Kühnert war damals vier Monate alt. Sein individuelles Ortshoroskop weist deshalb große Ähnlichkeit mit dem Ortshoroskop des Mauerfalls auf, der den Zusammenbruch und damit das Scheitern des Realsozialismus bedeutete, der nur mit den Mitteln einer diktatorisch-technokratischen Machtpolitik verwirklicht werden konnte. Gleichzeitig setzte damals eine kollektive Euphorie der Freude über die Befreiung vom Joch der sozialistischen Diktatur ein. Ein Traum vieler Menschen, die sich nach Freiheit von Unterdrückung und Verfolgung sehnten, ging in Erfüllung, während gleichzeitig ein anderer Traum – die Utopie des Kommunismus und Realsozialismus – für viele wie eine Seifenblase zerplatzte.
Der französische Astrologe André Barbault äußerte sich zum Wesen des Saturn/Neptun-Zyklus:
Freiheitskampf und Radikalisierung sozialer Forderungen
Die neptunische Strömung steht in Resonanz mit der öffentlichen Stimmung, der Ideologie eines Volkes und dessen gemeinsamer Glaubenssätze. Saturn schafft dabei die Verbindung zum Proletariat. Verkörpert nämlich Jupiter das Kapital, so symbolisiert Saturn die Arbeit sowie das arbeitsame und harte Leben der Armen. Durch diese ‚Saturnisierung’ erhält die neptunische Strömung ein Element von ‚Wildheit’; sie verhärtet sich, wird radikal, systematisch oder extremistisch. So ist es verständlich, dass die Konjunktion dieser beiden Planeten mit kollektiven, revolutionären Bewegungen zusammenfällt.¹
In der Beziehung zwischen Saturn und Neptun treffen zwei Welten aufeinander. Saturn ist der äußerste, mit bloßem Auge sichtbare Planet, während Neptun zu den neu entdeckten, für das bloße Auge „unsichtbaren“ Planeten gehört. Die sieben klassischen Planeten sind Sinnbild für die konkrete, sicht- und greifbare Welt, während die drei neu entdeckten Planeten für die unsichtbare Welt des Geistes (pneuma, spiritus) stehen. In gewisser Weise interagieren im Saturn/Neptun-Zyklus Erde und Himmel miteinander. Bezogen auf den Menschen betrifft dies mit Saturn das physische Ich, die Körperlichkeit, die Sicherheit und Schutz gewährleisten muss, mit Neptun das Ideal menschlicher Begegnung und Interaktion, eines friedlichen und wohlwollenden Beisammenseins einzelner Individuen, Gruppen und Nationen, die von ethischen, religiösen und moralischen Werten geleitet werden. Das Kernproblem der bisherigen Saturn/Neptun-Zyklen scheint vor allem an einem überwertigen Saturn und einem im Vergleich dazu zu wenig entwickelten Neptun zu liegen.
Saturn ist die physische Existenz, die es zu sichern, und deren Immunität (Abwehrkraft) gegenüber Fremden zu bewahren gilt. Es geht Saturn um das nackte Überleben – des Körpers, der Persönlichkeit und vor allem des Ichs, das nur in der Getrenntheit existieren kann. Diese Getrenntheit stellt jedoch Neptun massiv in Frage, er spült sie hinweg und reißt ihre Mauern ein. Neptun transzendiert das Ich und eröffnet ihm eine neue Sicht, die buchstäblich grenzenlos ist. Als transpersonaler (geistiger) Planet sollte er primär auf der überbewussten Ebene des Menschen wirksam werden und nicht zu Befriedigung persönlicher Bedürfnisse missbraucht werden.
Die „geistigen Planeten“, und somit Neptun, haben zwei grundlegend verschiedene Erlebnisformen: die unbewusste und die bewusste.
Die nicht bewusste Form ist die häufigere, und spielt vor allem im Kollektivleben eine wichtige Rolle. Geistige Planeten sollen uns zum Bewusstsein und zum Erlebnis des größeren Ganzen führen. Für den spirituell un- oder wenig bewussten Menschen ist diese außerpersönliche Dimension ganz natürlich das ihn umgebende Kollektiv. Ihm ist er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und deshalb übernimmt er mit dem Neptun dessen Zielvorstellungen und Wunschbilder, identifiziert sich mit ihnen als bestimmende soziale Anweisungen, und sensibilisiert sich so für das Kollektivgeschehen und für Massenbewegungen. Heutige Hauptformeln sind Begriffe wie z.B. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, die Zauberformel der französischen Revolution, oder „Soziale Gerechtigkeit“, „Demokratie“, und viele andere mehr. Selbstverständlich enthält die neptunische Kollektiv-Bilderwelt auch Wunschbilder mehr persönlicher Befriedigung, etwa betreffend der Liebesbedürfnisse, der Partnerschaften und der Geschlechtlichkeit. Und die Sensibilisierung geht bis hin zur Anfälligkeit für vom Kollektiv angebotenen Lust-Ersatz. Hier steht eine ganze Industrie mit Kompensationen für persönliche Frustrationen bereit. Diese unbewusste Erlebnisweise des Neptun kann man also generell als Über-Ich-Funktion bezeichnen.
Die echt geistige Wirkungsweise des Neptun setzt eine Kultivierung des Bewusstseins voraus. Das heißt, dass man sich beobachtend und persönlich distanziert mit der Menschen Wesensart und ihrem Zusammenleben auseinandersetzt. Und dass man versucht, daraus gültige Formeln der Beziehung abzuleiten, die über die persönliche Lustbefriedigung mit ihrer Tendenz, dies auf Kosten anderer zu tun, hinausführt und ein friedvolles und von Vertrauen bestimmtes Zusammenleben möglich macht. Es kommen dann Leitbegriffe wie Achtung vor dem Leben, bedingungslose Liebe, universelle Menschenliebe, All-Liebe und ähnliche zum Zuge.
Bruno Huber Astrolog Nr. 53
Ein „kultivierter Neptun“ braucht keine Mauern, Zäune oder Grenzen. Die Europäische Union müsste keine Flüchtlinge im Meer ertrinken lassen, würde sie Neptun dazu nutzen, in ihrer Sozial-, Agrar- und Wirtschaftspolitik echte Fairness walten zu lassen und in einer Haltung gegenseitigen Wohlwollens soziale Verantwortung sowohl innerhalb der EU als auch gegenüber Drittstaaten zu übernehmen. Immerhin versteht sich die Europäische Union heute als eine Wertegemeinschaft. Diese gilt es in allen Belangen zu leben.
Mystiker und Pragmatiker
Konflikte, die wir im Außen der Weltpolitik erleben, spielen sich auch innerhalb eines jeden Menschen ab. In jedem Horoskop finden sich Saturn und Neptun, in jedem von uns gibt es sowohl das Bedürfnis nach Sicherheit, Abgrenzung und Immunität als auch das Streben nach Frieden, Akzeptanz und bedingungsloser Liebe. Tatsächlich ist der Mensch ein zweifaches Wesen: auf der einen Seite hat er eine Persönlichkeit mit dem ICH als Zentrum → Saturn, auf der anderen ist er das höhere, wahre SELBST → Neptun. (Mehr zu diesem Thema: Ich und Selbst im Ei-Modell der Psychosynthese)
Menschen konzentrieren sich zunächst ausschließlich auf ihre persönliche Entwicklung. Sie möchten ihre Energie und ihre Fähigkeiten im Leben konstruktiv und nutzbringend anwenden im Ringen um ihre materielle Existenz. Für viele wird im Laufe der Zeit die geistig-spirituelle Entwicklung wichtiger, der sie zunehmend alle anderen Aspekte des Lebens unterordnen. Sie erleben das Spannungsfeld zwischen den Erfordernissen der materiellen Existenz (Saturn) und der Sehnsucht nach dem Transpersonalen, den spirituellen Ebenen des Seins (Neptun).
Die Psychosynthese ordnet dieser grundlegenden Dualität zwei archetypische Teilpersönlichkeiten zu: der Mystiker und der Pragmatiker bzw. der Idealist und der Realist.
Diese Polarität findet sich in jedem Menschen. Sie erzeugt eine kreative Spannung, die uns dabei hilft, eine Verbindung oder Synthese zwischen Himmel und Erde, zwischen Geist und Materie herzustellen.
„Die mystische Teilpersönlichkeit ist auf die höheren Ebenen unserer Existenz ausgerichtet. Sie neigt dazu, in Visionen zu schwelgen, sie sehnt sich nach dem Guten, Wahren und Schönen und strebt nach transpersonalen Erfahrungen.“² Die pragmatische Teilpersönlichkeit dagegen braucht und orientiert sich an Formen und Strukturen. Sie misstraut allem, was esoterisch, transpersonal und spirituell ist. Der Pragmatiker will die Kontrolle behalten und mit allen Mitteln seine Individualität bewahren, was jedoch nur um den Preis des Getrenntseins vom Ganzen möglich ist.
Ebenso können wir uns die Menschheit und Erde als ein großes planetarisches Bewusstsein vorstellen, für das die gleichen Gesetzmäßigkeiten herrschen, wie für das individuelle Bewusstsein jedes einzelnen Menschen. Das bedeutet, dass die Menschheit an sich oder einzelne Gruppierungen von Menschen (Nationen) Phasen der Identifikation mit der Rolle des Mystikers bzw. Idealisten und des Pragmatikers oder Realisten erleben. Kommunismus und Sozialismus entstanden ursprünglich als Utopie sozialer Gleichheit und Freiheit, um das Proletariat aus den kapitalistischen Zwängen der Industrialisierung zu befreien, was im theoretischen Stadium der Teilpersönlichkeit des Idealisten entsprach. Als diese Utopie jedoch als reale Staats- und Wirtschaftsform materialisiert wurde, gelang dies nur unter Zwang und mit Gewalt. Und schon gewann die Teilpersönlichkeit des Pragmatikers und Realisten die Oberhand.
Irgendwann erreicht der Zwang und die durch den Pragmatiker ausgeübte Unterdrückung wieder eine kritische Masse, sie wird überwertig und ist zur Veränderung gezwungen, denn materielle wie auch geistige Formen unterliegen dem Naturgesetz der Zeit und damit der Veränderung. Dieses Schicksal ereilt jegliche Gedankenform, auch die des Kapitalismus, denn wir erleben heute, dass „der Markt“ eben nicht alles regelt, sondern die Extreme fördert. Das bedeutet, dass eines Tages, vielleicht zur nächsten Konjunktion zwischen Saturn und Neptun in sieben Jahren, auch der kapitalistische Pragmatiker die kritische Masse erreichen wird, die eine Umkehr, einen Wandel erzwingt.
Betrachtet man den vergangenen Zyklus, der ganz im Zeichen des Ost-West-Konflikts stand und mit dem Tod Stalins und dem Volksaufstand in der DDR 1953 begann, setzte mit dem letzten absteigenden Sextil im Jahr 1982 im kapitalistisch orientierten Westen eine neue neoliberale Wirtschaftspolitik ein, die konsequent bisheriges Kollektiveigentum privatisierte, während der kommunistische Osten kurz vor der Pleite stand. Als beim absteigenden Halbsextil Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika eine grundlegende Reform der Sowjetunion initiierte, war es im Grunde schon zu spät, die Zeichen der Zeit wurden nicht rechtzeitig erkannt und die Konjunktionen von 1989 überschwemmten den sozialistischen Osten und rissen alles nicht tragfähige mit sich.
Heute befindet sich der aktuelle Zyklus wieder in der Phase des absteigenden Sextils, der Ruf nach einer sozialeren Orientierung und sogar nach Enteignungen und damit einer Abkehr von Privatisierungen, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Rahmen der Globalisierungswelle der 1990er Jahre um sich griffen, wird immer lauter. Falls bis zum Halbsextil in drei Jahren keine für alle Seiten befriedigende Lösung gefunden wird, droht dem überwertigen Saturn in sieben Jahren zur nächsten Konjunktion auf dem Nullpunkt des Zodiaks (der kosmischen Spalte) der nächste Untergang. Die Lösung muss nicht unbedingt Sozialismus heißen. Vielleicht reicht es schon, wenn die Bundesrepublik sich wieder auf ihre Wurzeln besinnt, die soziale Marktwirtschaft.
¹ Claude Weiss: Saturn-Neptun-Zyklus
² S. Dönges / C. Brunner Dubey: Psychosynthese für die Praxis.