Der heliozentrische Plutoknoten-Zyklus
Der letzte Plutoknoten-Zyklus begann im Jahr 1682 mit der heliozentrischen Konjunktion Plutos mit seinem aufsteigenden nördlichen Knoten (28.11.1682 um 01:39:40 UT)¹. Der französische König Ludwig XIV. bezog in jenem Jahr mit seinem Hofstaat das neue Schloss Versailles. Um künftige Aufstände zu verhindern, schnitt er die Aristokratie von ihrer alten Aufgabe der Provinzverwaltung ab und setzte dafür Beamte ein, während die Mitglieder des Adels an den Hof geholt wurden, wo sie einen prunkvollen Lebensstil führten ohne Kontakt zum restlichen Volk. Alle Macht bündelte sich in einer Person – dem König: „L’état, c’est moi!“ – eine plutonische Perfektion des absolutistischen Regierungsstils.
Im Jahr 1732, als Pluto heliozentrisch das Quadrat zu seiner Knotenachse erreichte (15.04.1732 08:01 UT)¹, wurde der Begriff des Siècle des Lumières („Jahrhundert der Lichter“) geprägt, das Zeitalter der Aufklärung, das durch Vernunft und rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden suchte.
Als Pluto im Jahr 1770 (23.12.1770 um 01:51:50 UT)¹ seinen südlichen absteigenden Knoten erreichte, entwickelten sich mit dem neuen Denken der Aufklärung erste geistige und soziale Reformbewegungen, die die britischen Kolonien in Nordamerika in ihrem Befreiungskrieg von der britischen Krone zur Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika aufgriffen. Gleichzeitig sollte sich in Frankreich die egozentrische plutonische Vorstellung des Absolutismus rächen. Die Erzherzogin Maria Antonia von Österreich wurde in diesem Jahr mit dem französischen Thronfolger, dem späteren König Ludwig XVI., verheiratet und zog als Marie-Antoinette in das Schloss von Versailles. Dort erlag sie der höfischen Prunksucht und erkannte zu spät die Unruhe, die sich im einfachen Volk aufgestaut hatte. Nicht der Adel wurde zur Gefahr für den König, sondern sein verarmtes Volk, das die Macht in der Französischen Revolution blutig an sich riss. Der Eigendünkel, die Ungerechtigkeit und Ignoranz des Adels erfuhren ihren „Ausgleich“.
Der Impuls nach Demokratie und Selbstbestimmung erfasste in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Pluto im Quadrat zu seiner Knotenachse stand (09.12.1839)¹, immer mehr Menschen in Europa. Er mündete in die Revolutionen von 1848, die in Deutschland jedoch scheiterten. Von vielen Denkern wurde der Faden dennoch weitergesponnen und es entstanden neue Ideen für demokratische Gesellschafts- und Wirtschaftsformen (Kommunismus, Sozialismus, Sozialdemokratie etc.). Nach dem Ersten Weltkrieg gelang in Deutschland die Ausrufung der Weimarer Republik, während in Italien der Diktator Mussolini die Macht an sich riss. Nach dem gewaltsamen Untergang des Zarenreichs entstand in Russland eine sozialistische Republik, die von einer kommunistischen Einheitspartei regiert wurde.
Der Beginn des aktuellen Plutoknoten-Zyklus (08.09.1930 um 08:41 UT)¹ brachte in Europa eine Reihe weiterer nationalistisch gesinnter Diktatoren – Stalin, Hitler, Franco – an die Macht. Mit der Entdeckung Plutos in dieser Zeit erkannten die Führer die neuen Möglichkeiten der „demokratischen“ Staatsführung. Es gab kaum noch Herrscher durch Geburt (Adel), sondern sie wurden vom Volk mehr oder weniger demokratisch auf Zeit gewählt. Um die Massen zur Wahl zu bewegen, wurden ihre individuellen Wünsche, Bedürfnisse und Ressentiments ideologisch für die eigene Propaganda genutzt. So wurde die kollektive Stimulierung des egozentrischen Impulses der Menschen durch Propaganda ein entscheidendes Mittel der Beeinflussung des kollektiven Denkens. Stand im vorhergehenden Plutoknoten-Zyklus nur eine Klasse, der Adel, im Zentrum der Entwicklung plutonischer Kraft, verschob sich nun dieser Machtimpuls auf die Masse der Menschen. Alle Menschen wollen nun mächtig sein und versammeln sich hinter dem Führer, der ihnen diese kollektive Macht verspricht.
Der heute erneut zunehmende Nationalismus in Europa und Amerika lässt diesen Geist der 1930er Jahre wieder auferstehen. Er dehnt das individuelle egozentrische Denken des Einzelnen auf seine ganze Nation, Rasse oder Religion aus. Es sucht Trennung, Abspaltung, Abgrenzung, Selbsterhöhung und stellt seine Nation, Kultur und Religion über das Lebensrecht und die Würde der Menschen anderer Nationen, Länder, Kulturen und Religionen. Das einzelne Ego dehnt sich auf das gesamte Land aus und wird zu einem kollektiven „Giga-Ego“. Gleichzeitig wurden mit Plutos Eintritt in das Südknoten-Zeichen Steinbock in der Finanzkrise die Weichen für den weltweit zunehmenden Nationalismus gestellt. Die Regierenden schützten ihre Bürger nicht vor den Folgen der Gier des Finanzsystems, sondern sie kollektivierten Schulden und privatisierten Gewinne und begünstigten, vielleicht um vom eigenen Versagen abzulenken, ein polarisierendes Denken der Bürger zwischen den leistungsfähigeren und deshalb reicheren Ländern und den schwächeren und ärmeren, die auf Unterstützung der stärkeren angewiesen sind. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Griechenlandkrise. Die Folge: die Welt ist fast so ungerecht wie vor 250 Jahren; die Menschen sind frustriert, wütend und haben das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen verloren.
Da einen Asura das Übertreten des göttlichen Gesetzes Dharma kennzeichnet (oder der Zehn Gebote, des Korans, der allgemeinen Menschenrechte, oder aus astrologisch-psychologischer Sicht der egoistisch motivierte Gebrauch der Pluto-Kraft), könnte man sich Plutos Eintritt in die südliche Welt der Ekliptik als Zeit der Abrechnung für diese Übertretungen vorstellen, eigentlich für das Denken, das dieses Handeln möglich macht. Ein egoistisches Denken, das die eigene Person (das eigene Volk, Religionsgruppe usw.) über andere stellt und dem anderen nicht das gleiche Recht auf Selbst-Bestimmung einräumt.
Plutos seelenzentrierte Vision
Die letzte Konjunktion mit dem Südknoten im Jahr 1770 führte erst 18,6 Jahre später (ein Mondknotenumlauf!) zur Französischen Revolution und dem Ende des Absolutismus. Das Auftreten nationalistischer Diktatoren um 1930 führte ebenfalls einen Mondknotenumlauf später zu einer Intensivierung des Demokratie-Impulses in Europa und mit dem Ende des Kolonialismus in der gesamten Welt. Der Demokratie-Impuls kann als seelenzentrierte Vision Plutos betrachtet werden, denn Demokratie schafft Raum für individuelle freie Entfaltung innerhalb einer kollektiven Gruppenzugehörigkeit. Diese steht nun wieder auf der Kippe und wird infrage gestellt. Autoritäre, nationalistische und damit egozentrische Machtstrukturen gewinnen unter den Menschen wieder massiv an Zulauf, denn an diese können sie individuelle Verantwortlichkeiten leichter delegieren.
Die Frage ist, wie sich dieser aktuelle Trend mit dem Überlauf Plutos über seinen absteigenden, südlichen Knoten entwickeln wird. Sofortige Ereignisse können sicher nicht erwartet werden. Plutos Mühlen mahlen zwar langsam, dafür tiefreichend. Die Krise könnte sich zunächst noch weiter zuspitzen, denn die Regierungen und staatlichen Institutionen haben noch keine wirkliche Lösung für die sozialen Verwerfungen seit dem letzten Quadrat Plutos zu seiner Knotenachse (05.02.1980)¹ gefunden, als öffentliches Eigentum – die technische und soziale Infrastruktur eines Landes – in großem Stil privatisiert und damit den Gesetzen des „Marktes” und Kapitalismus preisgegeben wurde (Neoliberalismus). Die Politikwissenschaftlerin Wendy Brown sieht im Neoliberalismus „eine Neuordnung des gesamten Denkens, die alle Bereiche des Lebens sowie den Menschen selbst einem ökonomischen Bild entsprechend verändere – mit fatalen Folgen für die Demokratie”. Doch die Regierungen bleiben großenteils dabei, diesen Status Quo aufrechtzuerhalten, was der Südknoten-Qualität entspricht. In der plutonischen Konfliktphase kann sich die Krise jedoch derart intensivieren, dass eine „kritische Masse“ erreicht wird (evtl. nach einem Umlauf der Mondknoten-Achse durch den Zodiak?), die zu einer von außen nicht mehr steuerbaren Kettenreaktion führt, in der die angestaute Energie auf einen Schlag ex- bzw. implodiert. Die bevorstehende Digitalisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt könnte diesen Prozess beschleunigen, indem sie die sozialen Verwerfungen zunächst intensiviert und damit zementiert.
Möglich und wünschenswert wäre, dass die Menschen langfristig die Vorteile des demokratischen Systems erkennen und in den kommenden Jahrzehnten bisherige Fehlentwicklungen, vor allem die Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik, korrigieren werden, und dass Länder mit einem autoritären Regierungsstil (heute z.B. in China, Russland oder der Türkei) sich langfristig diesem Trend nicht werden entgegenstellen können.
Individuelle Bedeutung
Ob sich diese Möglichkeiten jedoch kollektiv verwirklichen lassen, liegt nicht zuletzt am individuellen Fassungsvermögen jedes einzelnen Menschen, denn das seltene Ereignis ‚Pluto am Pluto-Südknoten‘ (nur viermal in einem Jahrtausend!), kann von jedem Einzelnen für seine individuelle geistig-spirituelle Entwicklung genutzt werden, insbesondere wenn der Pluto-Südknoten von persönlichen Planeten aspektiert wird. Hier kommt Yama-Pluto als Dharmaraja („König der Rechtschaffenheit“) zur Geltung, der uns einerseits an unser vergangenes Fehlverhalten bindet, mit dessen Hilfe wir uns davon aber auch wieder befreien können. Voraussetzung ist ein tiefgehender Wandlungsprozess, in dem das individuelle Karma und mit ihm vielleicht sogar das Karma einer Gruppe getilgt und „im Feuer der Seele verbrannt“ werden kann. Pluto ist die innerseelische „Kern- und Motivationskraft, die wandelnd auf das ICH-Bild, seine Masken und Über-ICH-Formen einwirkt“. Dies geht sicher nicht von heute auf morgen, doch können vielleicht jene, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten intensiv an ihrer spirituellen Entwicklung gearbeitet haben, auf „Er-Lösung“ ihrer karmischen Fixierungen hoffen.
Seit einem Jahr pendelt Pluto über seine geozentrischen Knoten, doch erst im Oktober wird auch der heliozentrische Pluto seinen Südknoten in Steinbock erreicht haben. Dies ist für das nächste Vierteljahrtausend eine kosmische Gelegenheit für die kollektive Wandlung übermäßiger Autoritätsgläubigkeit und dem Delegieren eigener Verantwortlichkeiten an äußere Autoritäten. Vor allem aber ist es auch eine Gelegenheit der individuellen „SELBST-Verwirklichung“, dem eigentlichen Kern-Thema Plutos. Je mehr Menschen diese gelingt, um so freier, seelenzentrierter und SELBST-bestimmter werden sie in ihrem Denken und Handeln. Diese Erfahrung führt zu mehr Toleranz und wahrem Frieden unter den Menschen. Erst dann finden die Menschen in Pluto ihren wahren Verbündeten.
¹ heliozentrisch
⇒ Zum 1. Teil
Lese-Tipp:
Pluto, der (ewig?) Missverstandene
Pluto in Steinbock
Der Wille
Pluto
Vedische Götter und Uranus, Neptun und Pluto
Die Mondknoten Rahu und Ketu
Samudra Manthan – Der aufgewühlte Ozean
Alexander Ruperti: Die Knoten des Mondes und der Planeten. API-Verlag
Alexander Ruperti: Kosmische Zyklen. Hier & Jetzt-Verlag
Interessanter und überezugender Text. Ginge das auch für Neptun und Uranus und ergeben sich da Bezüge? L.G. Sepp