Jungfrau – Die Mutter und das Kind


03. Aug 2010 – 12:31:14

Sternbild Jungfrau (Virgo)

Sternbild Jungfrau (Virgo)

Das Sternbild Jungfrau gehört zu den ältesten von Menschen identifizierten Sternkonstellationen. In Sumer und Babylon war dieses Sternbild unter dem Namen Kornähre oder Ackerfurche bekannt. Sein heliakischer Aufgang zeigte den damaligen Bauern den nahenden Beginn der Feldarbeit. Der hellste Stern dieser Konstellation ist Spica (heute auf rund 24° Waage im tropischen Tierkreis), was ebenfalls mit Kornähre übersetzt werden kann (vergleiche engl. „spike“ und span. „espiga“ für Ähre). Das Sternbild erhielt offensichtlich durch diesen Fixstern seinen Namen.

Traditionell wird das Sternbild als junge Frau dargestellt, die in ihrer linken Hand eine Kornähre hält (dort, wo sich der Stern Spica befindet) und in der rechten einen jungen Ast oder einen Palmwedel.

Virgo (Uranias Mirror)

Virgo (Urania’s Mirror)

Die lateinische Bezeichnung für Jungfrau ist Virgo. Die englische Bezeichnung virgin leitet sich davon ab und setzt sich zusammen aus den Silben „vir-“ (lat. Mann) und „-gyne“ (griech. Frau). Virgin bedeutet demnach Mann-Frau oder ein androgynes Wesen. Die lateinische Übersetzung für Frau ist „vira“. Ein heldenhaftes Mädchen ist eine „virago“, denn sie handelt wie ein Mann (vir + agere). Der lateinische Ausdruck „viriditas“ klingt ebenfalls in der Silbe „vir“ an. Er bedeutet Leben, bei Hildegard von Bingen die „Grünkraft“ und hängt mit Jugendlichkeit zusammen (grüne Triebe an Ästen, „noch grün hinter den Ohren sein“ usw.). Der Name des Zeichens bzw. Sternbildes Jungfrau zeigt demnach eine junge Frau, die ihre männlichen Qualitäten angemessen integriert hat und zum Ausdruck bringen kann.

JungfrauSchon im alten Mesopotamien, in Sumer und im darauf folgenden Babylonischen Reich wurde das Sternbild Jungfrau mit Muttergottheiten in Verbindung gebracht, das heißt mit Bildern der Großen Mutter. Die Verehrung der Großen Mutter (Magna Mater) fand zunehmend Verbreitung, als die Menschen in der Jungsteinzeit sich erstmals dem Ackerbau zuwandten und damit sesshaft wurden (ab ca. 10.000 v. Chr.). Damals kümmerten sich besonders die Frauen um Anpflanzung und Ernte, während die Männer weiterhin der Jagd nachgingen.

Alice A. Bailey bzw. „der Tibeter“ D.K. bringen dieses Sternbild ebenfalls mit der kosmischen Mutter in Verbindung, speziell mit Eva, Isis und Maria.

Eva ist das Symbol der Mentalnatur und des menschlichen Denkens, das durch die Verlockung des Wissens angezogen wird, das man durch die Inkarnationserfahrung gewinnen kann. Eva nahm also den Apfel der Erkenntnis von der Schlange der Materie und leitete damit jenes lange menschliche Unternehmen von Versuch, Erfahrung und Wesensäußerung ein.

Isis repräsentiert dasselbe auf der emotionellen oder astralen Ebene. Eva hat kein Kind in den Armen; der Keim des Christuslebens ist noch zu klein, als dass er sich schon bemerkbar machen könnte; der Involutionsprozess ist noch zu nahe; doch in Isis ist die Wegmitte erreicht; die Beschleunigung dessen, was gewünscht wird, ist eingetreten und so steht Isis folglich in den alten Tierkreisen für Fruchtbarkeit, Mutterschaft und als Hüterin des Kindes.

Maria endlich bringt den Vorgang hinunter auf die Ebene oder an den Ort der Inkarnation, auf die physische Ebene und bringt dort das Christuskind zur Welt. (Esoterische Astrologie)

Isis ist im alten Ägypten die Muttergöttin, die Beschützerin von Himmel und Erde, der Lebenden und der Toten. Nachdem ihr Gemahl Osiris von dessen Bruder Seth ermordet, zerstückelt und in alle Winde zerstreut wurde, macht sie sich auf die Suche, findet alle Teile und setzt sie wieder zusammen zu ihrem Gemahl, dem sie für einen Moment Leben einhauchen kann. Sie zeugen gemeinsam den Sohn Horus, der später den Mord an seinem Vater rächen wird.

Inanna (British Museum)

Inanna (British Museum)

Auch die anderen weiblichen Gottheiten, die in Verbindung mit dem Sternbild Jungfrau stehen, werden mit dem Tod und der Unterwelt konfrontiert. Die sumerische Göttin und Himmelskönigin Inanna sah man im Sternbild Jungfrau verkörpert, das damals zur Zeit der Aussaat in Mesopotamien heliakisch aufging. Inanna steigt in einem alten Mythos in die Unterwelt hinab, um dort ihre Schwester Ereschkigal (Herrin des Großen Unten, über Tod und Wiedergeburt) zu besuchen und alles über das Reich des Todes zu erfahren. Auf ihrem Gang in die Unterwelt muss Inanna an sieben Toren alle Insignien ihrer Macht ablegen und steht zum Schluss nackt und machtlos ihrer Schwester gegenüber, die sie tötet. Sie wird jedoch nach drei Tagen wieder zum Leben erweckt, einerseits durch Hilfe aus der Oberwelt, aber auch durch ihre Schwester Ereschkigal selbst. Inanna kann wieder in die Oberwelt gelangen, nun mit dem Wissen von Tod und Wiedergeburt ausgestattet. Als Pfand muss sie jedoch ihren Gemahl Dumuzi der Unterwelt überlassen.

Die babylonische Göttin Ishtar und die westsemitische Astarte waren vergleichbare Fruchtbarkeits- und Liebesgöttinnen mit ähnlichen mythologischen Geschichten.

Demeter (theoi.com)

Demeter (theoi.com)

Im Römischen Reich wurde das Sternbild Jungfrau mit der Göttin Ceres gleichgesetzt, die wiederum identisch ist mit der griechischen Göttin Demeter. Demeter ist eine dreifache Muttergöttin und zuständig für die Fruchtbarkeit der Erde, des Getreides, der Saat und der Jahreszeiten. Als dreifaltige Göttin tritt sie in verschiedenen Manifestationen auf: als Jungfrau, Mutter und Alte Frau. Sie hat mit ihrem Bruder und Herrscher des Olymps Zeus (lat. Jupiter) eine Tochter, Kore, die sie abgöttisch liebt. Ihr Onkel Hades (lat. Pluto), der Herr der Unterwelt, verliebt sich in das Mädchen und entführt es mit der Duldung des Zeus in die Unterwelt. Kore fügt sich, nun Persephone (lat. Proserpina) genannt, in ihr Schicksal. Ihre Mutter Demeter wandert derweil verzweifelt auf der Suche nach ihrer Tochter umher und hindert in ihrem Gram alle Pflanzen am Wachstum. Dies zwingt Zeus zum Eingreifen, denn die ganze Welt droht an Hunger zugrunde zu gehen. Er schickt Hermes (lat. Merkur) in die Unterwelt und es wird eine Einigung erzielt, wonach Persephone nur einen Teil des Jahres in der Unterwelt weilt. Im Winter regiert sie dort mit Hades und verbringt den Frühling und Sommer über der Erde bei ihrer Mutter.

Ein weiterer griechischer Mythos in Verbindung mit dem Sternbild Jungfrau ist jener um Erigone. Ihr Vater Ikarios ist vom Gott Dionysos in die Kunst des Weinanbaus eingeweiht worden. Als Ikarios seinen Knechten eine erste Kostprobe gibt, töten diese ihn, da sie im Rausch glauben, er wolle sie vergiften. Erigone findet mit Hilfe ihrer Hündin Maira nach langem Suchen den Leichnam und erhängt sich vor Gram an einem Baum. Darauf bricht in Athen eine Selbstmordserie aus: junge Athenerinnen erhängen sich reihenweise. Erst als Erigone und Ikarios durch jährliche Opfer gewürdigt werden, nehmen die Selbstmorde ein Ende. Die Götter versetzen Ikarios, Erigone und den hilfreichen Hund an den Sternhimmel: Erigone wurde das Sternbild Jungfrau, Ikarios das Sternbild Bootes und der Hund wurde zum Fixstern Sirius (Hundsstern), nach anderer Lesart auch Procyon im Sternbild Kleiner Hund.

Angesichts dieser mythologischen Geschichten wird der Hinweis des „Tibeters“ D.K. in „Esoterische Astrologie“ noch verständlicher:

Die Jungfrau symbolisiert Tiefen, Dunkelheit, Ruhe und Stille und Wärme; sie ist das Tal der Tiefenerfahrung, in dem Geheimnisse entdeckt und schließlich «ans Licht gebracht» werden; sie ist der Ort der langsamen, sanften und doch machtvollen Krisen und periodischen Entwicklungen, die im Dunkeln stattfinden und dennoch zum Licht führen.

Was den geschilderten Mythen außerdem gemeinsam ist: es muss Zeit verstreichen bzw. ein langer Weg der Suche beschritten werden, bis es zu einer Lösung kommen kann. Geduld ist ein Stichwort für die Jungfrau-Qualität.

MerkurDem Sternbild (und Tierkreiszeichen) Jungfrau werden in der Esoterischen Astrologie zwei Planeten des 4. Strahls zugeordnet: exoterischer Herrscher auf der Persönlichkeitsebene ist Merkur. Esoterischer Zeichenherrscher ist der Mond, durch den hier der esoterische Planet Vulkan wirkt. Merkur und Mond vermitteln die Energie des 4. Strahls: „Harmonie durch Konflikt“. Es müssen Konflikte durchlebt und gelöst werden, bevor ein Zustand der Harmonie eintreten kann.Mond

Vulkan

Vulkan

Der 4. Strahl nimmt unter den Sieben Strahlen eine ganz besondere Stelle ein: er liegt in der Mitte, er verbindet zwei Pole: Materie und Geist, die vordergründige Persönlichkeit mit der „SELBST-bewussten“ Seele. Der 4. Strahl entspricht „dem messerscharfen Pfad“ zwischen den Dualitäten. Man kann schnell abstürzen, sich mit dem einen oder anderen Pol identifizieren. Gelingt es jedoch, das Gleichgewicht zu halten, ist eine Verbindung der Welten möglich.

Merkur/Hermes als Planet des 4. Strahls ist in der Mythologie der Götterbote, der das Oben, die Welt der Götter, mit dem Unten, dem Reich der Menschen, verbindet. Er wurde von Zeus in die Unterwelt gesandt, um mit Hades eine Lösung des lebensbedrohlichen Konflikts mit Demeter auszuhandeln. Gefunden wurde eine „vernünftige“ und gerechte Lösung, bei der alle Bedürfnisse berücksichtigt wurden und wieder Wachstum in der Welt der Formen möglich war.

Während Merkur die harmonische Konfliktlösung mithilfe der Vernunft noch auf einer eher vordergründigen (eben exoterischen) Ebene bewerkstelligt, geht diese Arbeit mit dem Mond als esoterischem Herrscher auf der Seelenebene wesentlich tiefer. Hierzu bedarf es zunächst einer schrittweisen Integration der Schattenqualität des gegenüber liegenden Zeichens Fische.Fische Oft gerät die Jungfrau-Qualität angesichts des Chaos der Fische in eine Krise. Sie erlebt ihr Tun wie die mythologische Figur des Sisyphos (dessen nutzloses Rollen des Steines auf den Berg hinauf eine Strafe in der Unterwelt war). Doch der Jungfrau erscheint dies alles vor allem deshalb so sinnlos, weil die äußere Form überbewertet wird. Das Grenzauflösende und die Einsamkeit der Fische machen ihr Angst und lassen scheinbar alle Hoffnung fahren, ähnlich der inneren Todeserfahrung, wie wir sie auch im Wasserzeichen Fische kennen. Die Angst vor Auflösung kann jedoch integriert werden, um in der irdischen Form wieder Sinn und Lebensfreude finden zu können: durch die Liebe.

Der esoterische Saatgedanke für das Zeichen Jungfrau fasst die Synthese der Mythen um die Große Mutter zusammen:

„Ich bin die Mutter und das Kind, ich bin Gott, ich bin Materie“.

Literatur:
Louise Huber: Die Tierkreiszeichen – Reflexionen Meditationen. API-Verlag.
Louise Huber: Jungfrau- Vollmond-Meditation (mp3)
Gunda Scholdt: Praxisbuch der Esoterischen Astrologie. Ebertin-Verlag
Etymologie und Symbolik Sternbild Jungfrau
Alice Bailey: Esoterische Astrologie
Isis-Mythos
Inanna-Mythos
Demeter-Mythos

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